Deutschland-Ticket:

Pluspunkt für den PlusBus

In ländlichen Regionen ohne Bahnanschluss spielte der öffentliche Nahverkehr in der Vergangenheit häufig eine eher bescheidene Rolle. Doch landauf, landab tut sich eine Menge: Vielerorts fährt der PlusBus – im festen Takt auf schnellen Linien, auch am Wochenende und minutengenau abgestimmt zum Umsteigen in Regionalzüge. Die Idee startete vor zehn Jahren, Linien und Netze wachsen seitdem beständig. Sie bringen Schienenqualitäten auf die Straße und damit die Attraktivität des Deutschland-Tickets weit hinein in Landkreise und lokale Zentren.

160

Linien werden von
PlusBussen
in mittlerweile acht
Bundesländern
bedient.


Der Linienbus aus dem saarländischen Homburg ins knapp 15 Kilometer entfernte Zweibrücken im Bundesland Rheinland-Pfalz fährt als „R7“ seit dem vergangenen Jahr alle halbe Stunde und braucht dafür auf geradliniger Strecke gut 30 Minuten. Es ist ein typischer PlusBus: hohe Taktfrequenz, auch abends und am Wochenende, von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof und von City zu City. Seit der Einführung des Deutschland-Tickets im Mai dieses Jahres boomt die veredelte Linie so richtig, mit „Nachfragesteigerungen bis an die Belastungsgrenze“, wie Markus Philipp, Verkehrsplaner und Qualitätscontroller vom Zweckverband Personennahverkehr Saarland, feststellt.

Überrascht hat den ÖPNV-Experten diese Entwicklung nicht. Die R7 ist ein Grenzgänger, der nicht nur ins benachbarte Bundesland fährt, sondern auch den Sprung zwischen zwei Verkehrsverbünden macht – mit einem „sehr komplizierten Übergangstarif“. Markus Philipp: „Da haben die Fahrgäste früher wenig durchgeblickt und sind lieber nicht mit uns gefahren.“ Und so kommt zum PlusBus das Deutschland-Ticket gewissermaßen als Pluspunkt, denn seine Konditionen unterscheiden nicht zwischen Verbundräumen und Tariffeinheiten – es bietet bekanntlich bundesweite Mobilität mit dem ÖPNV über die bislang trennenden Barrieren hinweg.

Im Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) im Großraum Dresden: Gut getaktet verbinden PlusBusse ländliche Räume, und verknüpfen den ÖPNV auf der Straße mit der Schiene.

Flatrate beflügelt Nahverkehr

Ob Pendlerfahrten oder Freizeitverkehre – die ÖPNV-Branche erlebt eine deutlich steigende Nachfrage nach Bus und Bahn durch das Deutschland-Ticket. Kritische Stimmen hatten anfangs die Vermutung geäußert, die freie Fahrt sei nur interessant in Ballungsgebieten mit dichten Liniennetzen und hohen Taktfrequenzen auf der Schiene und der Straße. Doch inzwischen befindet sich das D-Ticket auch außerhalb der Großstadtregionen auf dem Vormarsch. Dafür ist der PlusBus mit seinem strukturierten Angebot und seiner zuverlässigen Bedienung über den ganzen Tag auf der festen Linie ein entscheidender Wegbereiter, heißt es in Verbünden und Unternehmen, auch wenn man den positiven Trend mit Zahlen der Fahrgastentwicklung noch nicht gesichert untermauern kann.



Mit zehn Linien startete man im Saarländischen Verkehrsverbund „saarvv” am 1. März 2022 in die PlusBus-Zeit. Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, vor der letzten Landtagswahl noch Verkehrsministerin in Saarbrücken, sagte zum Auftakt: „So stärken wir den ÖPNV insbesondere dort, wo derzeit keine ausreichende Anbindung an die Schiene gegeben ist. Ein attraktives Busangebot als Ergänzung zum Schienenpersonenverkehr ist ein wichtiger Schritt hin zur Verkehrswende und bringt uns auch in Sachen Klimaschutz weiter voran.“
Das Netz an der Saar wächst um weitere Linien. Neben dem klassischen angebotsorientierten PlusBus-Konzept haben die Saarländer ein nachfrageorientiertes Expressbus-Angebot mit derzeit drei Linien für typische Pendlerströme draufgesattelt. Die Busse nutzen vorwiegend schnelle Straßen und bedienen weniger Haltestellen. Markus Philipp: „Da kommen wir dann an Fahrzeiten heran, die näher beim Auto sind.“ Unter dem Strich sei die Fahrleistung der Verkehrsunternehmen im Landesnetz um etwa zehn Prozent gestiegen, überwiegend durch den Ausbau des Stundentaktes in den Tagesrandzeiten und am Wochenende. Deshalb habe es weder auf der Personalseite noch bei den Fahrzeugparks Engpässe gegeben. Wie erfolgreich das Angebot ist, wird nach den Corona-Einbrüchen vorsichtig beurteilt. Gegenüber dem Frühjahr 2019 vor der Pandemie sei dieses Jahr im März mit 70.000 Fahrgästen pro Woche auf neun der zehn PlusBus-Linien ein Plus von sechs Prozent gezählt worden, also schon vor der Einführung des Deutschland-Tickets. Markus Philipps Einschätzung: „Man erkennt Tendenzen.“

Wir kommen an Fahrzeiten heran, die näher beim Auto sind.

Markus Philipp
Verkehrsplaner und Qualitäts­-
controller beim Zweckverband
Personen­nahverkehr Saarland

Exportschlager aus Mitteldeutschland

Die Markenqualität äußert sich im fahrplanmäßigen Angebot: Der PlusBus fährt schnell und direkt im festen Takt auf festen Linien an sieben Tagen der Woche. Dabei verknüpft er mit kurzen Umsteigezeiten Busse und Bahnen des Schienennahverkehrs. Gefahren wird mit modernen Fahrzeugen, möglichst mit WLAN. Die Lizenz, das neue System als PlusBus-Marke zu starten, holten sich die Saarländer von den Kollegen beim Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) im Großraum um Leipzig und Halle herum. Denn dort sitzen die Pioniere der Idee, auch dünn besiedelte Regionen, von Fachleuten „Fläche“ genannt, mit regelmäßigen Liniendiensten auf der Straße als Ergänzung zum Schienennahverkehr zu versorgen. MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann erinnert sich: „Es war ein zentraler Paradigmenwechsel für die Erschließung des ländlichen Raums durch den ÖPNV. Damals wussten viele Stadtverwaltungen und Bürger überhaupt nicht, dass unsere Busse nicht nur Schulen, sondern auch viele andere Ziele ansteuern.“

Reisende können am Saarbrücker Flughafen den PlusBus R10 nutzen, der die Landeshauptstadt mit dem Biosphärenreservat Bliesgau verbindet (l.).
Der PlusBus R14 fährt nahe der französischen Grenze vorbei, im Hintergrund die Saarland-Therme (r).

Der seinerzeit bevorstehende Start des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes mit der Eröffnung des Leipziger Citytunnels war „eine einmalige Chance“, beschreibt Steffen Lehmann: „Wir erkannten die Möglichkeit, unsere Region über die Schiene hinaus noch feingliedriger zu erschließen und die Wirkung des Schienenpersonennahverkehrs auch dorthin zu tragen, wo kein Zug fährt – nämlich mit dem Bus in die Landkreise, im Vor- oder Nachlauf zur Eisenbahn.“ Der Verbund, der mit den Städten Leipzig und Halle im Mittelpunkt über die Landesgrenzen hinaus Teile von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Ost-Thüringen mit Bussen und Bahnen erschließt, machte sich daran, das zuvor unstrukturierte Angebot von 400 Buslinien zu einer Dienstleistung mit Markenqualität umzubauen.

Unsere Vision sieht vor, das PlusBus-Angebot in den nächsten zehn Jahren noch einmal zu verdoppeln.

Steffen Lehmann
Geschäftsfaührer des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds

Der Bus, der mehr bringt: „Das führte dann zu den Marken PlusBus, TaktBus und StadtBus. Sie wurden inhaltlich definiert und dafür ein passendes Markenbild entwickelt“, erläutert der MDV-Chef. Parallel wurden die Busnetze in den Landkreisen im MDV-Gebiet neu geknüpft, Linienwege, Haltestellen und Knotenpunkte für das Umsteigen zwischen Bus und Bahn konzipiert. Damit wurden die Verbindungsmöglichkeiten zwischen den ländlichen Regionen, den Mittelzentren und den Oberzentren erheblich verbessert. Heute sind 44 PlusBus-Linien mindestens jede Stunde unterwegs; hinzu kommen 18 Taktbus-Linien mit Zwei-Stunden-Takt in Randgebieten. Parallel dazu sind in vielen, auch kleineren Städten Stadtbuslinien neu entwickelt worden. So entstehen flächendeckende Verkehrsangebote, die nicht viel anders als in den Ballungsgebieten die Nutzung des Nahverkehrs attraktiv machen.

Mit dem PlusBus zum ­Zug: Ankunft am Bahnhof Dresden-Neustadt

Rund um Leipzig und Halle verzeichneten die Busse bereits vor der Einführung des Deutschland-Tickets einen Fahrgastzuwachs von nunmehr 86 Prozent in den zehn Jahren. Steffen Lehmann: „Das ist der Beweis. Die Menschen nehmen den guten ÖPNV an.“ Erfreulich sei, dass die Politik auf breiter Front den Ausbau unterstütze und finanziere. Mehr und mehr werde das System auch als positiver Standortfaktor gesehen. „Wir haben Rückmeldungen aus der Kommunalpolitik, der Immobilienbranche, der Wirtschaft.“ Derzeit wird diskutiert, die Buslinien verstärkt von Wohngebieten in Gewerbegebiete zu führen, um Pendlerinnen und Pendler im Sinne der Mobilitätswende aus dem Auto zu holen.

Das Beispiel des MDV machte Schule. In den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin und Brandenburg, Saarland, Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind bereits rund 160 PlusBus-Linien unterwegs. Etliche von ihnen überqueren Verbund- und Landkreisgrenzen – und fahren einen oder mehrere Bahnhöfe an – ideal für Mobilität mit dem D-Ticket. Die Idee des PlusBus im MDV-Gebiet wurde 2022 mit dem „Verkehrswendepreis“ der Allianz pro Schiene honoriert. Für Steffen Lehmann ein wichtiger Tag, doch er denkt schon an morgen und übermorgen: „Unsere Vision sieht vor, das PlusBus-Angebot in den nächsten zehn Jahren noch einmal zu verdoppeln. Mehr Stadtbuslinien und beim PlusBus die Einführung des Halbstundentaktes – das sind die Chancen für eine umfassende ­Mobilitätswende.“

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