Hintergrund

Der Markt der multimodalen Möglichkeiten wächst

On-Demand-Services als Ergänzung zum ÖPNV, digitale Plattformen, „Frischluft-­Mobilität“ mit dem geliehenen E-Scooter: Die Vielfalt der Angebote nimmt zu. Wie intelligente Lösungen mehr Autofahrer zum Umsteigen bewegen und die Verkehrsprobleme in den Städten lösen können, diskutierten etwa 120 Teilnehmer auf dem fünften VDV-Symposium zur Multimodalität.


Das Rennen um die besten Mobilitätsangebote der Zukunft ist eröffnet. Doch wer wird am Ende die Kunden haben? Und wie können die Klimaschutzziele im Verkehr mit möglichst hoher gesellschaftlicher Akzeptanz erreicht werden? Um Fragen wie diese ging es in München beim mittlerweile fünften VDV-Symposium zur Multimodalität. Die Verkehrsbranche sieht sich als umfassenden und serviceorientierten Dienstleister rund um das Thema Mobilität – längst nicht mehr nur „klassisch“ mit Bussen und Bahnen, sondern auch mit Car- und Bikesharing oder mit flexiblen Shuttles, die per App angefordert werden. „Unsere Aufgabe ist es, diese Angebote möglichst gut und sinnvoll mit dem Öffentlichen Verkehr zu verzahnen und digital zu vernetzen“, betonte VDV-Präsident Ingo Wortmann. Als Kooperation zwischen Verkehrsunternehmen und neuen Mobilitätsanbietern laufen derzeit größere On-Demand-Projekte beispielweise in Hamburg, Lübeck, Berlin, München und Duisburg. Ridepooling heißt das Prinzip: Auf deckungsgleichen Strecken werden die Mobilitätsbedarfe einzelner Fahrgäste gebündelt. Auf diese Weise können Verkehre effizienter, bedarfsgerechter und nachhaltiger gestaltet werden. Die Mobilitätsanbieter Via Van, Moia, Ioki und Door2Door arbeiten ebenfalls auf diese Weise. „Ridepooling ist der neue ÖPNV“, ist sich Tom Kirschbaum von Door2Door sicher.

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Derzeit drängen zahlreiche neue Mobilitätsformen in den Markt, im Wesentlichen kommerziell ausgerichtet. Deshalb bedienen viele der neuen Mobilitätsanbieter vorwiegend Innenstädte, denn dort sind mehr Kunden und entsprechend mehr Einnahmen zu erwarten. Bernd Rosenbusch, Geschäftsführer des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV), warnte vor einem „Rosinenpicken“ und einem unkoordinierten Wachstum von Mobilitätsanbietern. Während sie in den Städten eher mehr Verkehr verursachten als vermeideten, gebe es keine eigenwirtschaftlichen Angebote in der Fläche. Genau hier sollte jedoch die Verkehrsentlastung der Städte ihren Anfang nehmen. Rosenbusch forderte deshalb „neue Mobilitätsformen, die in der Region beginnen“.

Unsere Aufgabe ist es, diese Angebote möglichst gut und sinnvoll mit dem Öffentlichen Verkehr zu verzahnen und digital zu vernetzen.

Ingo Wortmann,
VDV-Präsident

Neben den verschiedenen Formen multimodaler Mobilität und ihrer Verknüpfung mit den Angeboten des ÖPNV standen die digitalen Plattformen im Mittelpunkt. „Wenn wir nicht wollen, dass Alexa uns sagt, wie wir von A nach B kommen, müssen wir selbst Plattform werden“, sagte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Im Rahmen der Vernetzungsinitiative „Mobility inside“ arbeiten der VDV und seine Mitglieder an einer gemeinsamen Plattform für den gesamten Öffentlichen Verkehr und darüber hinaus. „Wir setzen gerade die Bausteine zusammen“, berichtete Oliver Wolff. Zur VDV-Jahrestagung im Juni werde ein erster Prototyp vorgestellt und von einer begrenzten Anzahl von Usern nutzbar sein.

Ridehailing, Ridesharing und Ridepooling

Ridehailing ist die entgeltliche und „On-Demand“-gesteuerte Beförderung von in der Regel einzelnen Personen. Kommerzielle Plattformanbieter wie Uber legen nach aktueller Marktsituation den Preis fest, vermitteln die jeweils angeforderte Fahrt und nehmen dafür eine Provision. Meist handelt es sich um private Fahrer mit ihren eigenen Fahrzeugen.
Beim Ridesharing und Ridepooling werden die Verkehrsbedarfe einzelner Personen auf weitgehend deckungsgleichen Wegstrecken zusammengelegt. Als Ridesharing gilt die nicht-gewerbsmäßige Mitnahme von Personen in Privatautos gegen einen kleinen Unkostenbeitrag. Dabei würde die Fahrt ohnehin stattfinden, wie bei der klassischen Mitfahrzentrale. Freie Plätze werden in der Regel über eine internetbasierte Plattform zugänglich gemacht.
Unter Ridepooling wiederum ist eine Form des Ridehailing zu verstehen, allerdings als Sammelverkehr unter Berücksichtigung öffentlicher Verkehrsinteressen und im Rahmen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Betriebspflicht, Beförderungspflicht, Pflichtfahrgebiet und Tarif­integration steuert der Aufgabenträger über den Nahverkehrsplan.
Die Begriffe Ridehailing, Ridesharing und Ridepooling werden allerdings oft unterschiedlich verwendet.

Das Ziel in eine App eingeben und einfach unterwegs sein – ohne Fahrplanrecherchen, ohne den separaten Kauf von Tickets, ohne Rücksicht auf Tarifzonen. Mobility as a Service, kurz MaaS, heißt das Konzept, um das sich auf dem Symposium eine Reihe von Vorträgen und Gesprächen drehte. Per Abo bietet MaaS Mobilität für unterschiedliche Bedarfe – in Form von diversen Angebotspaketen, die verschiedene Leistungsumfänge und Preisstufen umfassen. „Mobilität als Service ist das Kerngeschäft von Verkehrsunternehmen als Dienstleister“, sagte Dr. Till Ackermann, Fachbereichsleiter Volkswirtschaft und Business Development beim VDV: „Wenn wir es behalten wollen, müssen wir kundenfreundlich sein.“ Als Erfinder des Begriffs „MaaS“ gilt Sampo Hietanen von der finnischen Firma MaaS Global. Er sieht MaaS als Anfang vom Ende des privaten Autobesitzes. Immerhin 616 Euro, so Hietanen, koste ein Pkw seinen Halter im Monat. „Dafür kann man sich viel Transport leisten.“ Über seine App „Whim“ lassen sich in Helsinki, Antwerpen und Birmingham Tickets für den ÖPNV kaufen, Leihfahrräder und Mietwagen buchen und Taxis bezahlen. Sampo Hietanen versteht den Wandel als Kollaboration: „Es geht um ein Öko-System, nicht um ein Ego-System.“

Auch Caroline Cerfontaine von der UITP ist sich sicher: „MaaS wird kommen.“ Dabei sieht sie den ÖPNV als Rückgrat der kombinierten Mobilität. Fairness und eine diskriminierungsfreie Herangehensweise seien dabei die Grundlage für die Kooperation verschiedener Partner. „Wenn wir alle kooperativ sind und zusammenarbeiten, können wir den Kuchen größer machen.“ Aber auch die Risiken für die beteiligten Partner müssten thematisiert werden – etwa der mögliche Verlust der Kundenbindung oder dass sich der MaaS-Integrator als Gatekeeper der Nachfrage entpuppe. Daten und Geschäftsmodelle müssten füreinander freigegeben und die Neutralität der Algorithmen gewährleistet sein. „MaaS wird das Instrument, das es unseren Städten ermöglicht, eine nachhaltige Zukunft zu bauen“, so Caroline Cerfontaine. Für sie spielen die Städte auch bei der Regulierung eine wichtige Rolle: „Behörden müssen sicherstellen, dass politische Ziele erreicht werden, und auch mal eingreifen.“

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So weit der Blick in die Zukunft. Aktuell steckt MaaS in Deutschland noch nicht einmal in den Kinderschuhen. „Es geht darum, das Kind aus der Wiege zu holen“, sagte Martin Röhrleef von der Üstra: „Bei MaaS haben wir das Laufen noch nicht gelernt, eher das Krabbeln.“ Prof. Ulrike Stopka von der TU Dresden verdeutlichte, dass MaaS-Angebote zuerst einen Bedarf wecken und der Markt zunächst entwickelt werden müsse: „Es gibt wenig intrinsischen Bedarf, multimodale Angebote zu nutzen.“ Tom Kirschbaum von Door2Door sah MaaS als Chance, dass neugierige Kunden neue Produkte entdecken können: „Die Angebote gibt es aber im Moment nicht.“


Interview

Die Bundesregierung plant, den Verkehrsmarkt für Anbieter aus der Sharing-Economy zu öffnen. Jüngste Studien aus den USA zeigen jedoch: Mietwagendienste wie Uber und Lyft tragen dazu bei, dass in den Großstädten Nordamerikas mehr Kilometer mit dem Auto zurückgelegt werden. „VDV Das Magazin“ sprach darüber mit Dr. Volker Deutsch (Foto), Fachbereichsleiter für Integrierte Verkehrsplanung beim VDV.

Herr Dr. Deutsch, Sie haben aktuelle Studien aus den USA dahingehend ausgewertet, wie sich Ridehailing-Fahrdienste auf den Verkehr in den Großstädten und Metropolregionen auswirken. Wie lauten die Ergebnisse?
» Dr. Volker Deutsch: Ohne Ordnungsrahmen führt Ridehailing eher zu mehr als zu weniger Stau. Zwar versprechen Uber, Lyft und Co. in ihrer Werbung, dass sie mit ihren smarten und digitalen Angeboten dazu beitragen, den Verkehr in den Städten zu reduzieren. Studien aus San Francisco, New York, Boston und zwei Gesamtstudien belegen jedoch das Gegenteil.

Inwiefern?
» Die Fahrzeug-Kilometer sind gestiegen, und die Qualität der Verkehrsabläufe sinkt insgesamt. Das bekommen vor allem der Autoverkehr selbst und der Wirtschaftsverkehr zu spüren. Besonders in den ohnehin schon sensiblen Innenstädten sorgen die Fahrdienste für zusätzliche, neue Verkehre. Allein in New York waren das – bedingt durch das Wachstum der Ridehailing-Dienste – zwischen 2013 und 2016 fast eine Milliarde zusätzliche Fahrzeug-Kilometer, die Hälfte davon im ohnehin schon stark belasteten Innenstadtbereich.

Welche Effekte stellten die Verfasser der Studien für den Öffentlichen Verkehr fest?
» Die Ridehailing-Dienste ziehen Nutzer aus den Angeboten des Umweltverbunds heraus – also weniger Rad, zu Fuß gehen und ­Öffentlicher Verkehr. Damit werden gerade die ressourcensparenden Verkehrsträger geschwächt und die bisherigen Investitionen in die Verkehrssysteme infrage gestellt. Auf diese Weise wirken die Fahrdienste einer Verkehrswende eher entgegen.

Welche Schlüsse sollte Ihrer Meinung nach die Politik daraus ziehen – mit Blick auf die Diskussion um das Personenbeförderungsgesetz (PBefG)?
» Die internationalen Erfahrungen mit Ridehailing können aufgrund anderer Rahmenbedingungen nicht Eins-zu-eins auf Deutschland übertragen werden. Klar ist aber, dass das Geschäftsmodell – egal wo – auf die lebendigen Innenstädte abzielen wird. Und wie in den USA nutzen nach ersten Erkenntnissen hiesiger On-Demand-Projekte eher die normalen ÖPNV-Kunden die Fahrdienste aufgrund des höheren Komforts, aber kaum die klassischen Autofahrer. Vorschnelle Entscheidungen bei einer Änderung des PBefG, die diese Wirkung außen vorlassen, führen zu Angeboten in den Zentren mit teilweise problematischen Effekten, ohne dass die Verkehrsbedürfnisse der Peripherie gelöst werden.

Trotz der negativen Auswirkungen auf den Klimaschutz und die Verkehrsqualität erfreuen sich innovative, smarte Angebote bei ihren Nutzern nicht nur in den USA großer Beliebtheit. Wie können diese Dienste aus Ihrer Sicht zu nachhaltigen Verkehrslösungen beitragen?
» Es muss eine kluge Steuerung durch den Aufgabenträger her – ohne wird es nicht funktionieren, da die Global Player nachvollziehbar Verkehr produzieren müssen, um ihre Erlöse steigern zu können. Deshalb auch die Konzentration auf die Innenstädte. Nur wenn eine Integration in den ÖPNV erfolgt, können digitale Mobilitätsangebote als Ridepooling ihre Potenziale dort ausspielen, wo sie auch benötigt werden: in städtischen Randgebieten, im Nachtverkehr oder im ländlichen Raum – aber sicherlich nicht am Hauptbahnhof oder in der Innenstadt, wo wir schon genug Stau und ein sehr gutes Verkehrsangebot mit Bus und Bahn haben.

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