Sechs Unternehmen
schreiben Tram-Trains aus

Das gab es so noch nie: Sechs Verkehrsunternehmen aus Deutschland und Österreich haben gemeinsam 504 Tram-Trains ausgeschrieben. Die Fahrzeuge verfügen über zwei Stromsysteme und können das Netz von Straßen- und „großen“ Eisenbahnen nutzen.

Ich bin froh und erleichtert, dass unsere dreijährige gemeinsame ­Arbeit nun Früchte trägt.

Ascan Egerer, techn. Geschäftsführer der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft und der Verkehrsbetriebe Karlsruhe


Umsteigefrei aus der Region direkt in die Innenstädte: Das ermöglichen die Tram-Trains. Die Erfindung stammt aus Karlsruhe, und sie hat national und international Nachahmer gefunden – etwa in Chemnitz, Kassel und Sheffield. Dieses attraktive Verkehrsmittel setzt nun seine Erfolgsgeschichte fort. Sechs deutschsprachige Verkehrsunternehmen haben gemeinsam 504 Regionalstadtbahnen ausgeschrieben. Vom gemeinsamen Großeinkauf nebst dazugehöriger Wartung und Instandhaltung im geschätzten Wert von insgesamt circa vier Milliarden Euro versprechen sich die Verkehrsunternehmen erhebliche Einsparungen. Neben der Entwicklung, Produktion und Zulassung der Fahrzeuge umfasst die Ausschreibung auch einen bis zu 32 Jahre laufenden Instandhaltungsvertrag mit dem Hersteller. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass der Hersteller über die Dauer der voraussichtlichen Laufzeit seiner Fahrzeuge für deren Instandhaltung verantwortlich ist und damit eine dauerhaft gute Qualität und Verfügbarkeit gewährleistet werden kann. Die Ausschreibung ist das Ergebnis eines VDV-Projekts. Drei Jahre lang haben die Beteiligten im VDV-Unterausschuss „Regionalstadtbahnen“ daran gearbeitet – auch im Dialog mit den Herstellern. „Das ist ein nie dagewesenes Projekt, auf das wir alle stolz sein können. Ich bin froh und erleichtert, dass unsere dreijährige gemeinsame Arbeit nun Früchte trägt“, betont Ascan Egerer, technischer Geschäftsführer der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) und der Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK).

Neben den beiden Karlsruher Unternehmen VBK und AVG, bei denen die Projektleitung liegt, setzt sich der Kreis der beteiligten Partner aus den Unternehmen Saarbahn Netz und Schiene Oberösterreich sowie dem Land Salzburg und dem Zweckverband Regional-Stadtbahn Neckar-Alb zusammen. Durch ihre gemeinsame Großbestellung wollen sie bis zu eine Million Euro pro Fahrzeug einsparen. „Das war von Anfang an die Zielsetzung, um die Tram-Trains im Vergleich zu günstigeren Vollbahntriebzügen wettbewerbstauglich zu halten, und daran haben wir auch festgehalten“, erklärt Gesamtprojektleiter Thorsten Erlenkötter von den VBK. Der Dialog mit namhaften Schienenfahrzeugherstellern im Rahmen des Projekts habe gezeigt, dass zum einen die gewünschte deutliche Einsparung für alle Partner möglich ist und dass zum anderen „die Forderungen unseres technischen Lastenhefts vom Hersteller auch tatsächlich umgesetzt werden können“, so Thorsten Erlenkötter.

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Standard spart Kosten

Ein wesentlicher Einsparungspunkt ist, dass es eine Standardkonstruktion geben wird, deren Entwicklungs- und Zulassungskosten sich die Partner teilen. Zudem sollen fünf Varianten des Fahrzeugs produziert werden, die spezifische Anforderungen der Betreiber erfüllen – etwa an Einstiegshöhe, Lackierung und Einsatzort.

Eine Million Euro Einsparung pro Fahrzeug - das war von Anfang an die Zielsetzung, um die Tram-Trains im Vergleich zu günstigen Vollbahntriebzügen wettbewerbs­tauglich zu halten.

Thorsten Erlenkötter,
Gesamtprojektleiter

Die Auslieferung der Bahnen folgt einem festen Plan und erstreckt sich über insgesamt zehn Jahre. Die ersten vier Vorserienfahrzeuge gehen im Juli 2024 an die Saarbahn, die die Basisvariante kauft und in die Jahre gekommene Tram-Trains austauscht. Die anderen Partner stellen andere Anforderungen. So benötigen die VBK etwa ein Einsystem-Einrichtungsfahrzeug für den Innenstadt-Tram-Verkehr und das Land Salzburg für die Salzburger Lokalbahn eine Version, die nur unter 750 Volt beziehungsweise 1.000 Volt Gleichspannung fahren kann. Die AVG und der Zweckverband Regional-Stadtbahn Neckar-Alb, deren Fahrzeuge vom auftraggebenden Land Baden-Württemberg über die Schienenfahrzeuggesellschaft Baden-Württemberg (SFBW) beschafft werden, bekommen Fahrzeuge mit Toiletten. Die Schiene Oberösterreich will damit nur einen Teil ihrer Fahrzeuge ausstatten.

Bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags im März 2019 präsentierten (v. l.) Karlsruhes OB Frank Mentrup, Carsten Strähle (Erms-Neckar-Bahn), Dr. Alexander Pischon (AVG), Ulrich Weber (VDV), Projektleiter Thorsten Erlenkötter, Mathias Korda (VMS), Peter Edlinger (Saarbahn) und Ascan Egerer (AVG) das Modell des Standardfahrzeugs.

Bereits seit Jahrzehnten betreiben die Saarbahn und die AVG erfolgreich ein Regionalstadtbahnsystem. Von diesen Erfahrungen können die vier anderen Betreiber profitieren, denn sie wollen solche Verbindungen zwischen Stadt und Region erst noch einführen. „Der Erfahrungsaustausch war auch ein wesentliches Ziel unseres gemeinsamen Projekts“, erläutert Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim VDV: „Das Schöne an unserer Branche ist: Wir sind keine Konkurrenten, sondern haben alle das gemeinsame Ziel, möglichst viele Menschen zum Umstieg vom Auto auf den ÖPNV zu überzeugen.“ Dazu brauche es attraktive Angebote, wie die Tram-Train-Systeme in Karlsruhe und Saarbrücken zeigen, so Martin Schmitz. Ascan Egerer von AVG und VBK freut sich auf die Resonanz: „Jetzt sind wir sehr gespannt auf die Angebote.“

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