Wissenschaftliche Einblicke: Was uns die Forschung über Eidechsen an Bahnanlagen lehrt
Wie genau nutzen die Zauneidechsen die Bahnanlagen? Das wollten Forschende genauer wissen. Ein Team um Alina Janssen und Mark-Oliver Rödel vom Museum für Naturkunde Berlin (Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung) hat sich das genauer angeschaut. Ihre Studie liefert handfeste Beweise dafür, dass Bahnanlagen echte Eidechsen-Paradiese sein können – und ist eine der umfassendsten Untersuchungen dazu.
Dafür nutzten die Forschenden eine besondere Methode: die Radiotelemetrie. Dabei wurden kleine, leichte Sender vorsichtig am Schwanz der Eidechsen befestigt, die bis zu drei Wochen lang den genauen Aufenthaltsort der Tiere übermittelten, bevor sie von selbst abfielen. Das ist viel genauer als frühere Methoden, bei denen man die Tiere nur ab und zu gesichtet hat und Schlafplätze oft Zufallstreffer waren. Die höhere Genauigkeit dieser Methodik war entscheidend, um ein umfassendes Bild der Habitatnutzung zu erhalten.
Was zeigt die Studie genau?
- Die Ergebnisse der Studie von Janssen und Rödel sind wirklich spannend und liefern wichtige Hinweise für den Artenschutz:
Bemerkenswert kleine Aktionsräume: Ein zentrales und überraschendes Ergebnis war, dass Zauneidechsen entlang von Bahnstrecken „sehr kleine“ Aktionsräume aufwiesen – verglichen mit Populationen in anderen Lebensräumen. Viele Tiere bewegten sich tatsächlich nur „wenige Meter“ entlang des Bahndamms. Das zeigt, dass die Eisenbahnumgebung alle notwendigen Ressourcen – ausreichend Insekten als Nahrungsgrundlage, vielfältige Versteck- und Schlafplätze, optimale Sonnenplätze und geeignete Eiablageorte – auf einem sehr begrenzten Raum bietet. So sparen die Eidechsen Energie und sind weniger Fressfeinden ausgesetzt – ein echter Erfolgsfaktor in diesem Habitat. Dies zeigt auch, dass Bahnanlagen nicht nur toleriert werden, sondern optimale Bedingungen bieten können, da alle notwendigen Ressourcen auf engem Raum verfügbar sind.
Saisonale Variation der Aktionsraumgröße: Die Studie offenbart ein klares saisonales Muster: Die Aktionsräume waren im Frühling am kleinsten und im Sommer am größten, was wahrscheinlich auf erhöhte Nahrungssuche oder Fortpflanzungsaktivitäten in den Sommermonaten zurückzuführen ist. Diese dynamische Nutzung des Habitats, die sich den Jahreszeiten anpasst, zeigt: Schutzmaßnahmen und Bauplanungen müssen flexibel sein und die spezifischen Bedürfnisse der Tiere berücksichtigen.
Spezifische Mikrohabitatnutzung und Schlafplätze: Die Kernbereiche der Aktivität der Eidechsen befanden sich „direkt entlang der Bahnstrecke“, was die zentrale Bedeutung der unmittelbaren Bahnumgebung bestätigt. Schlafplätze wurden überwiegend in der „Böschung und im Gleisschotter“ gefunden. Besonders hervorzuheben ist die Beobachtung, dass Zauneidechsen im Sommer, wenn der Bahnschotter durch Sonneneinstrahlung stark erwärmt wird, diesen bevorzugt als Schlafplatz nutzen, da die Steine die Wärme auch nachts am längsten halten. Dies ist entscheidend für ihre Thermoregulation und ihr Überleben.
Keine signifikanten Geschlechtsunterschiede: Die Studie fand keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Aktionsraumgröße zwischen männlichen und weiblichen Zauneidechsen. Dies vereinfacht die Planung allgemeiner Schutzmaßnahmen, da keine geschlechtsspezifischen Anpassungen hinsichtlich der Raumnutzung erforderlich sind.
Die Studie wurde in Neißemünde, Brandenburg, nahe der deutsch-polnischen Grenze, durchgeführt und umfasste Daten, die in den Jahren 2020 und 2021 gesammelt wurden. Der untersuchte 400 Meter lange Abschnitt hatte zum Studienzeitpunkt Bahnbetrieb, wobei stündlich Nahverkehrszüge und täglich zusätzliche Güterzüge verkehrten. Dies bestätigt, dass die Tiere erfolgreich mit dem laufenden Bahnbetrieb umgehen können.
Die Studie lässt auch direkte Folgen für die Bauplanung zu und hilft, Mittel einzusparen: Wer genau weiß, wie sich die Eidechsen bewegen und wo sie am liebsten schlafen, kann Bau- und Instandhaltungsprojekte viel gezielter, effizienter und natürlich gesetzeskonform planen. Das minimiert nicht nur ökologische Auswirkungen, sondern trägt auch dazu bei, Verzögerungen und Kosten zu vermeiden, die durch eine unzureichende Berücksichtigung des Artenschutzes entstehen könnten.
Janssen, Alina, Staab, Michael & Mark-Oliver Rödel (2025): Home ranges of Sand Lizards, Lacerta agilis (Squamata: Sauria: Lacertidae), along railway tracks. – SALAMANDRA 61(2): 240–255.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie
Merkmal |
Erkenntnis |
Bedeutung |
Lebensraum |
Sehr klein, oft nur wenige Meter entlang des Bahndamms
|
Hohe Ressourcenverfügbarkeit auf engem Raum, Energieersparnis, geringeres Fressfeindrisiko
|
Saisonale Variation
|
Kleinste Bewegung im Frühling, größte im Sommer; korreliert mit Temperatur
|
Dynamische Habitatnutzung, Anpassung an jahreszeitliche Bedingungen
|
Kernbereiche der Aktivität
|
Direkt entlang der Bahnstrecke
|
Bestätigt die zentrale Rolle der Bahnanlagen als Lebensraum
|
Bevorzugte Schlafplätze
|
Böschung und Gleisschotter; Schotter speichert Wärme nachts
|
Mikroklima des Schotters ist entscheidend für Thermoregulation und Überleben
|
Geschlechtsunterschiede |
Keine signifikanten Unterschiede in der Größe des Lebensraum
|
Vereinfacht die Planung von allgemeinen Schutzmaßnahmen, da keine geschlechtsspezifischen Anpassungen hinsichtlich der Raumnutzung erforderlich sind.
|
Praktische Artenschutzmaßnahmen: Die Bahnunternehmen nehmen ihre Verantwortung wahr
Wissenschaftliche Erkenntnisse wie die von Janssen und Rödel sind Gold wert, um die ökologische Bedeutung von Bahnanlagen zu verstehen. Aber Wissen allein reicht nicht – es muss in konkrete Artenschutzmaßnahmen münden. Hier tragen Bahnunternehmen eine besondere Verantwortung und nehmen diese wahr. Sie zeigen mit ihren proaktiven Ansätzen, wie Umweltschutz und Infrastrukturbetrieb Hand in Hand gehen können. Die Deutsche Bahn und ihre Tochterunternehmen sind hier natürlich schon allein aufgrund ihrer Größe Vorreiter. Ihre umfassenden Bemühungen zeigen: Artenschutzmaßnahmen sind keine bloßen Theorie-Gebilde, sondern bewährte, großflächige Initiativen, die das Engagement der Branche für die Biodiversität unterstreichen.
Konkrete Beispiele für erfolgreiche Projekte verdeutlichen den Umfang und die Art dieser Bemühungen:
Köln-Nippes/Zollstock:
Vorreiter – das ICE-Werk Köln-Nippes
- In Köln-Nippes, wo das erste klimafreundliche ICE-Instandhaltungswerk betrieben wird, wurden rund 150 ansässige, geschützte Zauneidechsen vor Baubeginn umgesiedelt. Diese Tiere fanden ein neues Zuhause auf einer rund 17.000 Quadratmeter großen Fläche im benachbarten Köln-Zollstock. Dies zeigt, wie großflächige Bauprojekte mit umfassenden Umsiedlungsmaßnahmen verbunden werden können, um den Fortbestand geschützter Arten zu sichern.
Link zu weiteren Informationen
Oberlausitz (Modernisierung der Linie Knappenrode–Horka):
Selten – eine Glattnattern
- Im Zuge der Modernisierung dieser Bahnlinie wurde ein noch größeres Projekt realisiert. Hier wurden rund 3.500 Eidechsen umgesiedelt und fast 45 Ersatzlebensräume für Zauneidechsen und sogar Glattnattern geschaffen. Dieses Projekt demonstriert ein breites Engagement für den Reptilienschutz und die Fähigkeit, komplexe ökologische Herausforderungen bei großen Infrastrukturprojekten zu bewältigen.
Link zu weiteren Informationen
S-Bahn Leverkusen (zwischen Rheindorf und Langenfeld):
Rückkehr– Zauneidechsen im Rheinland
- Aufgrund von Bauarbeiten wurden hier rund 30 Zauneidechsen umgesiedelt. Ganz in der Nähe der Bahnstrecke wurde ein artgerechtes Habitat mit Kies, Sand und Totholz hergerichtet, das mithilfe eines Zaunes vom Baugebiet getrennt wird. Eine Besonderheit dieses Projekts ist die Möglichkeit für die Tiere, nach Beendigung der Baumaßnahmen in ihr früheres Habitat zurückzukehren. Dies unterstreicht einen durchdachten Ansatz, der temporäre Umsiedlungen mit der Option einer Rückkehr verbindet.
Link zu weiteren Informationen
Für den Schutz von Reptilien bei Bauprojekten sind qualifizierte Experten unerlässlich. Sie führen komplexe Umsiedlungen durch und schaffen neue Lebensräume. Dies garantiert höchste Tierschutzstandards und stellt sicher, dass sich die Tiere an ihrem neuen Standort gut einleben.
Die Beispiele der Deutschen Bahn AG und ihrer Töchter zeigen, dass Bahnunternehmen nicht nur auf gesetzliche Vorgaben reagieren, sondern proaktiv komplexe, großflächige Umsiedlungs- und Habitatschaffungsprojekte umsetzen. Dies ist von großer Bedeutung, da es aufzeigt, wie wissenschaftliche Erkenntnisse direkt in operative Strategien zur Einhaltung von Vorschriften und zur effektiven Risikominderung einfließen. Durch das proaktive Management geschützter Arten können Unternehmen rechtliche Konsequenzen, kostspielige Projektverzögerungen und negative öffentliche Wahrnehmung vermeiden.
Bahnanlagen: Chance für Biodiversität und nachhaltige Entwicklung
Die Eisenbahninfrastruktur hat eine entscheidende Doppelfunktion. Sie ist nicht nur das unverzichtbare Rückgrat für den Transport, sondern entwickelt sich auch zu einem vitalen ökologischen Korridor und einem wichtigen Lebensraum für gefährdete Arten wie die Zauneidechse. Das verändert die traditionelle Sicht auf Verkehrswege und eröffnet neue Perspektiven für eine integrierte Nachhaltigkeitsstrategie.
Dabei ist fundierte wissenschaftliche Forschung, wie die Studie von Janssen und Rödel, von grundlegender Bedeutung. Sie liefert präzise, datengestützte Einblicke in komplexe ökologische Wechselwirkungen – unerlässlich für effektive und zielgerichtete Schutzmaßnahmen. Die enge Zusammenarbeit zwischen führenden wissenschaftlichen Institutionen wie dem Museum für Naturkunde Berlin und wichtigen Akteuren der Industrie, wie der Deutschen Bahn, ist dabei Gold wert. Diese Kooperation ermöglicht es, theoretisches Wissen direkt in die Praxis umzusetzen und so einen messbaren Beitrag zum Artenschutz zu leisten.
Die Integration eines umfassenden Biodiversitätsschutzes in alle Phasen der Infrastruktur – von der Planung über den Bau bis hin zur laufenden Instandhaltung – ist weit mehr als eine bloße regulatorische Anforderung. Es ist eine riesige Chance für die Bahnbranche, ihre Nachhaltigkeitsziele zu stärken, das Image zu verbessern und sich proaktiv den wachsenden Erwartungen an Umweltverantwortung zu stellen.
Moderne Eisenbahn-Infrastruktur, Umweltschutz und der Erhalt der Biodiversität widersprechen sich nicht.