Bahnreform als Chance und Herausforderung
Die Gründung und Entwicklung des RMV ist untrennbar mit der Bahnreform von 1994 verbunden. Diese stellte eine tiefgreifende Zäsur in der Organisation des deutschen Schienenverkehrs dar und schuf die Grundlage für die Entstehung von Verkehrsverbünden in ihrer heutigen schlagkräftigen Form. Eine der zentralen Veränderungen war die sogenannte Regionalisierung, die maßgeblich zum 1. Januar 1996 wirksam wurde: Der Bund übertrug die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) – also den Regionalverkehr auf der Schiene – auf die Bundesländer. Damit ging auch die finanzielle Zuständigkeit, gespeist durch Regionalisierungsmittel des Bundes, an die Länder über.
Für die Rhein-Main-Region waren damit große Chancen verbunden. Zum einen bestand nun die Möglichkeit, regionale Verkehrsbedürfnisse besser zu erkennen, einen Beitrag zum noch stärkeren Wachstum der schon damals pulsierenden polyzentrischen Rhein-Main-Region zu leisten und zum anderen auch darin, bestehende historisch gewachsene Markthindernisse, wie etwa Abschottungen in Vertrieb und Tarifen, zu überwinden.
Ein echter Fortschritt: Durchgängige Fahrkarten sparen Zeit, Geld und Nerven von Kundinnen und Kunden.
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Wie der RMV das Pendeln neu erfand
Vor der Ära des RMV glich die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs im Rhein-Main-Gebiet oft einem Hindernislauf. Wer längere Strecken mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen wollte, sah sich mit dem Problem konfrontiert, für nahezu jeden Umstieg eine neue Fahrkarte zu lösen – ein umständliches und oft auch kostspieliges Unterfangen. Ein markantes Beispiel zeigt die damalige Situation: Eine Fahrt vom Fuldaer Bahnhof zur Frankfurter Konstablerwache kostete vor 1995, inklusive Regionalzug und Weiterfahrt mit der U-Bahn, 25,50 DM (umgerechnet 13,04 Euro). Dafür waren zwei separate Fahrscheine notwendig, der zweite musste beim Umstieg am Frankfurter Hauptbahnhof zeitaufwändig erworben werden. Mit Gründung des RMV 1995 reduzierte sich der Preis für dieselbe Strecke mit nur noch einem Ticket auf 18,00 DM (9,20 Euro) – eine erhebliche Ersparnis und ein deutlicher Komfortgewinn für die Kundinnen und Kunden.
Am 28. Mai 1995 nahm der RMV seinen Betrieb auf, getragen von einer ebenso einfachen wie revolutionären Vision, die im Motto „Ein Fahrplan, ein Fahrschein, ein Fahrpreis“ ihren Ausdruck fand. Die Komplexität wurde drastisch reduziert, die Nutzung des ÖPNV intuitiver und berechenbarer. Diese grundlegende Vereinfachung war nicht nur ein Slogan, sondern die Basis für eine wachsende Akzeptanz und legte den Grundstein für spätere digitale Innovationen wie die RMV-App, die auf einem integrierten Tarif- und Informationssystem aufbauen.
Die organisatorische Struktur des RMV als Zusammenschluss von 15 Landkreisen, vier kreisfreien Städten sowie sieben Städten mit Sonderstatus und dem Land Hessen als Gesellschafter der RMV GmbH war entscheidend für diesen Erfolg. Dieses komplexe, aber effektive Kooperationsmodell, in dem jeder Gesellschafter im Aufsichtsrat eine Stimme hat, ermöglichte es, die vielfältigen lokalen Interessen unter einem Dach zu vereinen und eine gemeinsame strategische Ausrichtung zu verfolgen.
"So kommen wir weiter." - Dem Anspruch der RMV-Eröffnungsfeier folgten drei Jahrzehnte gehaltener Versprechen.
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Drei Jahrzehnte RMV im Wandel
Das erste Jahrzehnt (1995-2004): Der Kunde im Mittelpunkt – Vereinfachung schafft Vertrauen
Die unmittelbare Wirkung des Verbundstarts war eine spürbare Erleichterung für die Fahrgäste: Das Fahren wurde deutlich einfacher und durchgängiger. Dieser neu gewonnene Komfort schlug sich rasch in den Zahlen nieder. Bereits in den ersten fünf Jahren nach seiner Gründung konnte der RMV die jährlichen Fahrgastzahlen um beeindruckende 80 Millionen steigern.
Unterstützt wurde die Tarifintegration durch die Einführung moderner Fahrkartenautomaten sowie attraktiver Angebote wie dem RMV-KombiTicket und dem RMV-JobTicket, die den öffentlichen Nahverkehr für breite Bevölkerungsschichten attraktiver machten. Wichtige Meilensteine dieser Ära waren die Einführung des verbundweiten Semestertickets im Jahr 1996, das frühzeitig eine wichtige junge Zielgruppe an den ÖPNV band. Auch der Ausbau des S-Bahn-Netzes schritt zügig voran: Die Linien S3 und S4 wurden 1997 bis Langen bzw. Darmstadt verlängert, die S7 nahm 2002 den Betrieb bis Riedstadt-Goddelau auf, und 2003 erfolgten Erweiterungen der S1 und S2 nach Rodgau bzw. Dietzenbach.Die Reaktivierung des Taunusbahn-Abschnitts von Grävenwiesbach nach Brandoberndorf im Jahr 1999 und die Einführung des Hessentickets als länderübergreifende Gruppentageskarte im Jahr 2002 waren weitere bedeutende Schritte zur Stärkung des ÖPNV-Angebots.
Das zweite Jahrzehnt (2005-2014): Schienen für die Zukunft schmieden – Infrastruktur als Wachstumsmotor
Mit dem stetigen Fahrgastzuwachs rückte eine neue Herausforderung in den Fokus: die Kapazitätsgrenzen der bestehenden Infrastruktur.Trotz des enormen Anstiegs der Fahrgastzahlen war das Schienennetz seit 1995 nur um etwa zwei Prozent gewachsen, was den Druck auf das bestehende System verdeutlichte.
Der RMV reagierte und trieb bereits frühzeitig Machbarkeitsstudien und Planfeststellungsverfahren für notwendige Infrastrukturprojekte voran.Diese Weitsicht war ein notwendiger, langfristiger Schritt, um das Wachstum des ersten Jahrzehnts zu konsolidieren und zukünftige Steigerungen zu ermöglichen. Zu den wichtigen Projekten dieser Zeit zählte die umfassende Modernisierung der Odenwaldbahn, die 2005 ihren Betrieb aufnahm und zu einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen auf dieser Strecke führte.Im Jahr 2008 übernahm Prof. Knut Ringat die Geschäftsführung des RMV. Weitere Meilensteine waren die Reaktivierung der Pfungstadtbahn 2011, die Einführung des eTickets als elektronische Fahrkarte auf Chipkarte im Jahr 2012 und der Start der ersten Expressbuslinien 2014, die als innovative Ergänzung zum Schienenverkehr konzipiert wurden.
Das dritte Jahrzehnt (2015-2025): Digital, innovativ, wegweisend – Die Transformation gestalten
Aufbauend auf einer soliden Nutzerbasis und den angestoßenen Infrastrukturmaßnahmen konnte der RMV im dritten Jahrzehnt den Fokus verstärkt auf Digitalisierung und Innovation legen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die RMVgo-App, die seit ihrem Start Ende 2022 fast vier Millionen Mal heruntergeladen wurde. Bereits 2016 wurde die RMV-App um die Anzeige von Mietfahrrädern, Carsharing-Angeboten und Taxis erweitert, was den Weg zu einer intermodalen Mobilitätsplattform ebnete.
Parallel dazu setzte der RMV seine Strategie fort, mit zielgruppenspezifischen Flatrate-Tickets den Zugang zum ÖPNV zu vereinfachen. Nach dem Semesterticket (1996) und dem Hessenticket (2002) folgten das Schülerticket Hessen (2017), das Landesticket Hessen für Landesbedienstete (2018) und das Seniorenticket Hessen (2020).
Das dritte Jahrzehnt ist zudem geprägt von der Einführung zukunftsweisender Technologien: Seit 2019 entsteht schrittweise ein großes On-Demand-Netzwerk, 2022 nahm die Wasserstoffzugflotte im Taunus den Betrieb auf, und 2024 startete das Pionierprojekt KIRA, das erstmals autonome Shuttles der Automatisierungsstufe Level 4 auf die Straße bringt.Die Einführung des Deutschland-Tickets im Jahr 2023 soll laut Prognose 2025 zu einem neuen Fahrgasthöchststand führen.Auch der Infrastrukturausbau bleibt zentral: Der S-Bahn-Halt Gateway Gardens ging 2019 ans Netz, 2024 begann der Betrieb der S6 auf eigenen Gleisen, und ebenfalls 2024 waren alle Abschnitte der Regionaltangente West (RTW) im Bau.
Das RMV-Gebiet:
Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) erstreckt sich hauptsächlich über den Süden Hessens.
Darüber hinaus gibt es RMV-Übergangstarife, die Fahrten in benachbarte Gebiete anderer Bundesländer ermöglichen. Diese Übergangstarife gelten in Teilen von:
Rheinland-Pfalz: Insbesondere in der Stadt Mainz und in Landkreisen wie Mainz-Bingen, Alzey-Worms (soweit im RNN) und Bad Kreuznach (im Rhein-Nahe Nahverkehrsverbund - RNN). Auch einzelne Linien in den Rhein-Lahn-Kreis und den Westerwaldkreis sind eingeschlossen, sowie Verbindungen in den Verkehrsverbund Rhein-Mosel (VRM). Bestimmte Gebiete des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN) in Rheinland-Pfalz sind ebenfalls abgedeckt.
Bayern: Hier gibt es Übergangstarife zur Verkehrsgemeinschaft am Bayerischen Untermain (VAB).
Nordrhein-Westfalen: Einzelne Gebiete wie die Stadt Bad Laasphe (im Westfalentarif) und Warburg sowie Hallenberg-Braunshausen (an den Grenzen des NVV) sind erreichbar.
Thüringen: Die Stadt Geisa (in der Verkehrsgemeinschaft Wartburgregion - VGW) und Gerstungen (an den Grenzen des NVV) sind angebunden.
Niedersachsen: Hann. Münden und Staufenberg (an den Grenzen des NVV) sind im Übergangstarif erreichbar.
Baden-Württemberg: In den Übergangstarifgebieten zwischen VRN und RMV sind Orte wie Hohensachsen und Lützelsachsen (Stadt Weinheim) sowie die Stadt Eberbach eingeschlossen.