Das Mobilitätsverhalten in Deutschland befindet sich im Wandel. Auch wenn die Gesamtzahl der Reisen in den ersten zehn Monaten des Jahres 2024 noch leicht – rund sechs Prozent – unter dem Niveau des Vergleichszeitraums 2019 liegt, zeigen sich deutliche Verschiebungen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern. Eine aktuelle Langzeitanalyse des Telekommunikationsanbieters O2 Telefónica und des Analysespezialisten Teralytics AG, die auf anonymisierten und aggregierten Mobilfunkdaten der letzten fünf Jahre basiert, liefert hierzu detaillierte Erkenntnisse. Die zentrale Botschaft: Die Schiene erlebt einen deutlichen Aufschwung und ist der einzige Verkehrsträger mit Zuwächsen gegenüber der Vor-Corona-Zeit, während insbesondere Inlandsflüge massiv an Bedeutung verlieren. Diese Art der Analyse, die auf der Auswertung von Bewegungsdaten im Mobilfunknetz beruht, stellt einen modernen Ansatz dar, um Mobilitätsmuster zu verstehen. Sie bietet potenziell dynamischere Einblicke als traditionelle Erhebungsmethoden und spiegelt die zunehmende Digitalisierung im Verkehrssektor wider, wie sie auch bei Ticketing-Lösungen wie dem Deutschland-Ticket eine Rolle spielt. Die Ergebnisse zeigen, dass es nicht nur um eine leichte Reduzierung der Gesamtmobilität geht, sondern vor allem um eine andere Art des Reisens – eine Entwicklung, bei der der öffentliche Verkehr, insbesondere die Schiene an relativer Bedeutung gewinnt. Der Aufstieg der Schiene: Einziger Verkehrsträger mit Wachstum Die Analyse von O2 Telefónica und Teralytics unterstreicht eine bemerkenswerte Entwicklung: Die Schiene ist der einzige Verkehrsträger in Deutschland, der im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie ein Wachstum bei der Anzahl der Reisen verzeichnen kann. Laut den Mobilfunkdaten liegt die Zahl der Bahnreisen im Jahr 2024 (bis Oktober) rund acht Prozent höher als im Vergleichszeitraum 2019. Dieser Zuwachs ist besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund der Herausforderungen, mit denen der Sektor konfrontiert war und ist, wie etwa Streiks und betriebliche Unregelmäßigkeiten, die im Untersuchungszeitraum ebenfalls Spuren hinterließen. Dass die Nachfrage dennoch gestiegen ist, deutet entweder auf eine starke grundsätzliche Attraktivität des Systems Schiene oder auf signifikante externe Einflussfaktoren hin.. Dieses nachhaltige Wachstum positioniert den Schienenverkehr als zentralen Baustein für die dringend benötigte Verkehrswende und das Erreichen von Klimazielen. Die Daten liefern konkrete Belege dafür, dass die Schiene tatsächlich Marktanteile gewinnt und ihr Potenzial zur Verlagerung von Verkehren auf umweltfreundlichere Alternativen realisiert. Dies stützt die Argumentation für weitere Investitionen und politische Unterstützung der Eisenbahnbranche, um deren Rolle im Mobilitätssystem der Zukunft weiter zu stärken – ein Kernanliegen des VDV und seiner Mitgliedsunternehmen. ” „Unsere Mobilitätsdaten verdeutlichen einen Wandel im Reiseverhalten der Menschen in Deutschland. Die verstärkte Nutzung der Bahn zeigt, dass sich die Mobilitätsgewohnheiten zugunsten umweltfreundlicherer Alternativen verändert haben, gestützt durch den politischen Willen für bezahlbare bundesweite Mobilität im öffentlichen Personennahverkehr. Gleichzeitig ist die Mobilität insgesamt leicht zurück gegangen. Gründe dafür könnten die vermehrte Nutzung digitaler Anwendungen sowie weniger Dienstreisen sein“ Markus Haas CEO von O2 Telefónica Bild: O2 Telefonica Politische Weichenstellung: Wie 9-Euro- und Deutschland-Ticket die Nachfrage beflügeln Die Analyse legt nahe, dass politische Maßnahmen zur Preisgestaltung im öffentlichen Verkehr einen erheblichen Einfluss auf das Reiseverhalten haben. Insbesondere die Einführung bundesweiter, vereinfachter Ticketangebote scheint die Nachfrage nach Bahnreisen maßgeblich beflügelt zu haben. Bereits das 9-Euro-Ticket sorgte im Sommer 2022 für einen signifikanten Anstieg: Von Juni bis August 2022 lagen die Bahnreisen um bis zu 24 Prozent über den Vergleichswerten von 2019. Die Mobilfunkdaten zeigen für diesen Zeitraum ein Viertel mehr innerdeutsche Bahnfahrten als vor der Pandemie. Allerdings offenbarte sich auch die Kehrseite einer temporären Maßnahme: Nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets fiel die Zahl der Bahnreisen im September 2022 abrupt wieder um rund 16 Prozent unter das Vor-Corona-Niveau. Erst mit der Einführung des Deutschland-Tickets im Mai 2023 setzte erneut ein deutlicher und diesmal nachhaltigerer Anstieg ein. Seitdem liegen die Bahnreisen im Schnitt konstant über den Vergleichswerten von 2019. Diese Entwicklung liefert starke quantitative Belege für die Preiselastizität der Nachfrage im ÖPNV und unterstreicht die Wirksamkeit von Preispolitik als Instrument zur Verhaltensänderung – eine zentrale Erkenntnis für die laufenden Debatten über die Finanzierung und Ausgestaltung des Deutschland-Tickets. Der Vergleich zwischen dem temporären Effekt des 9-Euro-Tickets und der anhaltenden Wirkung des Deutschland-Tickets deutet darauf hin, dass ein dauerhaftes, einfaches und preislich attraktives Angebot das Potenzial hat, die Nutzung des ÖPNV stärker in den Alltagsgewohnheiten zu verankern, auch wenn die Finanzierungsfragen weiterhin eine Herausforderung darstellen.Die Detailbetrachtung der monatlichen Daten zeigt aber auch, dass das Deutschland-Ticket allein kein Allheilmittel ist. Externe Faktoren spielen weiterhin eine große Rolle. So verzeichneten Bahnreisen im Januar 2024 trotz des Deutschland-Tickets ein Minus von knapp neun Prozent gegenüber Januar 2019 – ein Monat, der stark von Streiks der Lokführergewerkschaft GDL geprägt war. Umgekehrt sorgte die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land für einen positiven Sondereffekt: Im Juni 2024 lag die Zahl der Bahnreisen sogar 16 Prozent über dem Niveau von Juni 2019, der höchste Wert seit der Einführung des 9-Euro-Tickets. Dies unterstreicht, dass neben einem attraktiven Preisangebot auch die operative Zuverlässigkeit und Großereignisse wesentliche Treiber für die tatsächliche Nutzung sind. Klimaschutz: Einbruch bei Inlandsflügen Im starken Kontrast zum Aufwind der Schiene steht die Entwicklung des innerdeutschen Flugverkehrs. Hier zeigt die Analyse einen drastischen Einbruch: Die Zahl der Inlandsflüge lag in den ersten zehn Monaten 2024 rund 50 Prozent unter dem Niveau von 2019. Es fanden also nur noch etwa halb so viele Flugreisen von Menschen innerhalb Deutschlands statt wie vor der Corona-Pandemie. Besonders stark betroffen ist beispielsweise Nordrhein-Westfalen. Eine gesonderte Auswertung für das bevölkerungsreichste Bundesland ergab, dass 2024 rund 65 Prozent weniger Inlandsflüge von oder zu den Flughäfen in NRW (wie Düsseldorf oder Köln-Bonn) stattfanden als vor Corona. Als Gründe für diesen Trend nennt der Pressetext die Reduzierung des Angebots durch viele Airlines sowie die verstärkte Nutzung digitaler Konferenztools, die insbesondere Geschäftsreisen ersetzen könnten. Dieser massive Rückgang im Flugverkehr stellt eine signifikante Marktchance für die Schiene dar, insbesondere auf Relationen, wo die Bahn eine wettbewerbsfähige Alternative in Bezug auf Reisezeit und Komfort bietet. Die Entwicklung könnte zudem mehr als nur eine temporäre Folge der Pandemie sein; sie könnte einen strukturellen Wandel im Reiseverhalten widerspiegeln, beeinflusst durch ein gestiegenes Umweltbewusstsein und die nachhaltige Etablierung digitaler Arbeitsformen. Folgen Sie dem VDV auf LinkedIn: Ganzen Beitrag auf LinkedIn lesen
Bild: O2 Telefonica Straßenverkehr: Weiter unter Vor-Corona-Niveau Auch der Straßenverkehr hat das Vor-Corona-Niveau noch nicht wieder erreicht. Laut der Analyse lagen die Fahrten auf der Straße im Jahr 2024 (bis Oktober) noch etwa sieben Prozent unter den Werten von 2019. Im Vergleich zum Vorjahr 2023 ist jedoch eine leichte Erholung zu beobachten: Die Zahl der Straßenreisen stieg um zwei Prozent. Der Rückgang im Straßenverkehr ist damit deutlich moderater als bei Inlandsflügen. Dies legt nahe, dass die Verlagerung von der Straße zur Schiene, auch wenn sie zur positiven Bilanz der Bahn beiträgt (+8%), gradueller verläuft oder durch andere Faktoren überlagert wird als der massive Shift vom Flugzeug zur Bahn. Die Gewohnheiten bei der Autonutzung scheinen stärker verankert zu sein, oder die Alternativen werden für bestimmte Wegeprofile als weniger konkurrenzfähig wahrgenommen. Der leichte Anstieg gegenüber dem Vorjahr (+2%) könnte auf eine langsame Normalisierung hindeuten, aber auch auf den anhaltenden Wettbewerb zwischen Straße und Schiene. Die Analyse der Mobilfunkdaten zeichnet ein klares Bild: Die Mobilität in Deutschland verändert sich strukturell. Es geht nicht nur um eine ungleichmäßige Erholung nach der Pandemie, sondern um eine Verschiebung der Gewichte zwischen den Verkehrsträgern. Die Schiene ist dabei die klare Gewinnerin, maßgeblich unterstützt durch politische Initiativen wie das Deutschland-Ticket. Um diesem Trend gerecht zu werden, braucht es klare Signale: Durch eine langfristige, ausreichende Finanzierung der Schieneninfrastruktur und des Angebots. Quelle: "Nur noch halb so viele Inlandsflüge wie vor Corona, Zuwachs bei Bahnfahrten" von O2 Telefonica. Lesen Sie auch: Lesen Sie den ganzen Artikel Politik22. Januar 2025„Hoher Nutzen für die Volkswirtschaft“VDV-Präsident Ingo Wortmann fordert den Ausbau der Eisenbahn zum Verkehrsträger des 21. Jahrhunderts. Finanzierung des Deutschland-Tickets und Milliardeninvestitionen in den ÖPNV sind zentrale Themen. Lesen Sie den ganzen Artikel Finanzierung29. Januar 2024D-Ticket: Stärkerer politischer Rückenwind wird benötigtBei Fahrgästen, Kommunen und Landkreisen, Arbeitgebern und Verkehrsunternehmen herrscht wegen der künftigen Finanzierung des D-Tickets nach wie vor Verunsicherung. Lesen Sie den ganzen Artikel Verband & Branche06. Juni 2024Nachhaltige Mobilität beflügelt die WirtschaftInvestitionen in die nachhaltige Mobilitätswirtschaft haben einen deutlichen Effekt auf Einkommen und Beschäftigung. Dieser Bereich trägt spürbar positiv zur Wertschöpfung bei.