ÖPNV digital und vernetzt
auf Zukunftskurs
Steigende Kundenzufriedenheit, sinkender Energieverbrauch: Das sind zwei der wesentlichen Ziele, die sich die Verkehrsunternehmen von einer konsequenten Digitalisierung der Betriebsabläufe versprechen. Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), die S-Bahn Hamburg und die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) sind mit ihren innovativen Projekten weltweit Vorreiter im digitalen ÖPNV.
In der sächsischen Elbmetropole gibt es neben grünen und roten Ampelmännchen auch kleine graue Symbolfiguren. Sie tauchen in der Fahrplan-App der Dresdner Verkehrsbetriebe auf. Allein, zu zweit oder zu dritt signalisieren sie überschlägig in Echtzeit, wie viele Fahrgäste aktuell in der ausgewählten Bahn sitzen und stehen. Drei Männchen kündigen hohe Auslastung an, einer lässt auf einen freien Sitzplatz hoffen. Ein automatisches Fahrgastzählsystem liefert dafür echtzeitnah die notwendigen Daten. Das neue Verkehrsmanagementsystem kann noch mehr: An Doppelhaltestellen wie beispielsweise Bahnhof Dresden-Mitte kündigt es auf den elektronischen Anzeigetafeln die Reihenfolge an, in der die Bahnen unterschiedlicher Linien an der Bahnsteigkante vorfahren.
„Unser strategisches Ziel ist ein verlässlicher ÖPNV, der den Kunden von der Quelle bis zum Ziel begleitet. Dafür brauchen wir digitalisierte und vernetzte Verkehrsmanagementprozesse“, sagt Christian Gassel von den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB): „Die Auslastungsinformationen für den Fahrgast sind dabei ein kleiner Schritt in einer anspruchsvollen technologischen Entwicklung, die wir schon seit gut einem Jahrzehnt entschlossen vorantreiben.“ Christian Gassel ist bei den DVB für das Verkehrsmanagement verantwortlich. Eine spannende Aufgabe, wie sich an einem weiteren Detail der Auslastungsdaten erklärt: Die Zahl der Fahrgäste an Bord einer Bahn gibt kurzfristig Rückschlüsse darauf, wie lange ein Fahrgastwechsel an einer Umsteigehaltestelle in etwa dauern wird. Auf einem langen Linienweg summieren sich da Sekunden schnell zu Verspätungen.
Digitalisiertes und vernetztes Verkehrsmanagement in Dresden: Das DVB-Fahrpersonal erhält Infos über den optimalen Abfahrzeitpunkt (l.), die Fahrgäste bekommen Hinweise zur Auslastung der Bahnen (r.).
Dresden: Trams sekundengenau steuern
Wie in allen Großstädten gibt es auch in der sächsischen Landeshauptstadt darüber hinaus eine Fülle weiterer Verspätungsursachen für den ÖPNV, etwa plötzliche hohe Nachfrage an einer Haltestelle, Verkehrsstaus, Wartezeiten an der roten Ampel. Christian Gassel: „Unsere Pünktlichkeit liegt bei 75 Prozent. Das ist uns zu wenig, angestrebt sind 95 Prozent.“ Ein zentraler „Verkehrsdatenzugangspunkt“ sei dafür „die Datendrehschreibe, die uns zukunftsfähig macht, auch im Hinblick auf künftige KI-Lösungen.“
Das im Aufbau befindliche Konzept sieht vor, den gesamten Straßenbahnbetrieb in der Dresdner Innenstadt nicht nur minutiös, sondern sekundenscharf in Echtzeit und metergenau zu steuern, in Abstimmung mit dem Individualverkehr vom Fahrrad bis zum Auto. Auf der Nord-Süd-Achse des Tramnetzes funktioniert das bereits. Es sorgte für steigende Fahrgastzahlen und erhebliche Energieeinsparungen. Die dafür erforderliche Beeinflussung der Lichtsignalanlagen erfolgt über ein zentrales Modul zur Ampelsteuerung, das über Lichtwellenleiter und über den kommunalen Verkehrsrechner die Signale der Busse und Bahnen im gesamten Innenstadtgebiet ansteuert.
Somit werden nicht nur die aktuelle Verkehrslage überwacht und Fahrzeugauslastungen prognostiziert. Anhand der aktuellen Fahrzeugauslastung werden auch Fahrgastwechselzeiten abgeleitet. Sie werden herangezogen, um Ampeln im direkten Umfeld von Haltestellen zeitgerecht zu beeinflussen. Im Führerstand erhält das Personal zudem Empfehlungen, wann der optimale Zeitpunkt zum Abfahren gekommen ist, sowie energieoptimale Fahrempfehlungen – wobei Grünphasen an den Ampeln prognostiziert beziehungsweise berücksichtigt werden.
Auch elbeabwärts in Hamburg geht es um Energiesparen und attraktiven Schienennahverkehr. Bereits seit September 2022 fahren vier mit digitaler Technik ausgerüstete S-Bahn-Züge der Baureihe 474 auf einer 23 Kilometer langen Strecke vom Vorort Bergedorf bis zur Station Berliner Tor kurz vor dem Hamburger Hauptbahnhof automatisch – im Regelbetrieb fahrplanmäßig und mit Fahrgästen. Die Deutsche Bahn, die Stadt Hamburg und Siemens Mobility haben das Projekt „ATO over ETCS“ gemeinschaftlich realisiert. Die Abkürzung steht für Automatic Train Operation über die rechnergesteuerte Leit- und Sicherungstechnik des European Train Control Systems.
Pünktlicher dank automatischer Steuerung
Es sind die ersten Schritte für ein hochmodernes S-Bahn-Netz, das künftig ohne Signale am Bahndamm auskommt und durch die automatische Steuerung Verspätungen sowie den Energieverbrauch spürbar senken soll. Dafür werden weitere Fahrzeuge umgerüstet, und ab 2025 rechnet die Hansestadt mit 64 Zügen der neuen Baureihe 490; sie werden bereits ab Werk mit „ATO over ETCS“ ausgestattet. Parallel dazu sieht das Projekt den Aufbau eines intelligenten Betriebsleitsystems vor, das den Stromverbrauch um bis zu 30 Prozent senken soll. Ein Bahnsprecher erklärt, wie das funktionieren kann: „Weil der Technik künftig die Positionen aller Züge im Netz exakt bekannt sind, können Rollphasen besser ausgenutzt und Halte auf freier Strecke verhindert werden. Zum anderen reduziert das System Lastspitzen beim Stromverbrauch, indem vermieden wird, dass mehrere Züge auf der Strecke zeitgleich anfahren.“
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ATO in den Stadtbahntunneln, intelligente Infrastruktur im oberirdischen Straßenverkehr: In Frankfurt am Main muss für den digitalen ÖPNV beides zusammen funktionieren. Wie in anderen deutschen Stadtbahnstädten fahren die Bahnen in der Mainmetropole nur im Zentrum als U-Bahn unterirdisch. Schon in den Randbezirken tauchen sie aber auf und müssen dann als Stadtbahn in den Stadtverkehr eingebettet werden. „Es geht um die Symbiose zweier komplexer digitaler Systeme für den ÖPNV. Da sind wir nach unserem Kenntnisstand wohl weltweit die ersten“, stellt Christian Schmidt, Fachbereichsleiter Systemtechnik bei der VGF, fest. Die Problematik ist einfach beschrieben. ATO im Tunnel sorgt dafür, dass mehr Bahnen dort unterwegs sein können als heute. Also muss sichergestellt sein, dass die Züge beim Auftauchen aus dem Tunnel schnell in den Straßenverkehr übergehen. Allein auf der B-Strecke, dem gemeinsamen unterirdischen Anteil der Linien U4 und U5 zwischen Hauptbahnhof und Konstablerwache, wird eine Steigerung in den Hauptverkehrszeiten von 24 auf 30 Bahnen pro Stunde möglich sein.
Realisiert wird das durch die CBTC-Technologie (Communication Based Train Control System), die neue digitale Zugsicherungstechnik für den Zugbetrieb im Untergrund. Während die U-Bahnen heute noch ganz klassisch im Tunnel von Blockabschnitt zu Blockabschnitt fahren und durch Signale gesteuert werden, kann CBTC fließende Sicherheitsabstände von einem Zug zum anderen berechnen. Die Züge fahren dann in einer Art wanderndem Block („Moving Block“) mit der Konsequenz, dass die Streckenkapazität deutlich steigt.
Oberirdisch muss ein anderes System für Ordnung sorgen: C-ITS, das „Cooperative Intelligent Transport System“. Dahinter verbirgt sich komplexe und vernetzte Kommunikationstechnologie zur Steuerung der Verkehrsteilnehmenden. Und dazu gehört ein sinnvolles Miteinander des Individualverkehrs von Autos, Zweirädern und Gehenden einerseits und Bussen und Bahnen andererseits.
Aus der Sicht des Verkehrsunternehmens VGF geht es darum, den ÖPNV, insbesondere die Straßen- und U-Bahnen, zum Beispiel über Fahrerassistenzsysteme oder Vorrangschaltungen bei den Ampelanlagen, zu optimieren. „Das können wir nicht alleine, dazu brauchen wir die Partnerschaft des Straßenverkehrsamtes“, weiß Christian Schmidt: „Ziel ist eine verkehrsträgerübergreifende digitale Kommunikation, um ÖPNV und Individualverkehr zu vernetzen und die Verkehrsflüsse zu optimieren.“ Ein anvisiertes „multimodales Reallabor“ auf einem fünf Kilometer langen oberirdischen Abschnitt der U5 zeigt die Komplexität allein dieser Aufgabenstellung: Für die Gemeinsamkeit der Verkehrsteilnehmer müssen elf Haltestellen und neun stärker frequentierte Kreuzungen für den Datenfluss hergerichtet werden.
Mobilitätswende im öffentlichen Raum: ein Feld voller Spannungen
Dresden, Hamburg und Frankfurt zeigen exemplarisch: Der digitale Zukunftskurs der Verkehrsunternehmen ist eingeschlagen, die technischen Möglichkeiten werden weiter optimiert. Sie müssen aber auch so eingesetzt werden, dass sich Busse und Bahnen für die Fahrgäste verlässlicher und für die Verkehrsunternehmen wirtschaftlicher durch die Städte bewegen können. Die Mobilitätswende zeigt sich hierbei im öffentlichen Raum als ein Feld voller Spannungen – wie können Störungen durch andere Verkehrsteilnehmende minimiert werden? Unter anderem um diese Fragen ging es beim 7. VDV-Beschleunigungsseminar in Karlsruhe, wo Verkehrstechnik, -organisation und -politik im Zusammenspiel diskutiert wurden. Innerstädtische Verkehrsflächen sind knapp, der zunehmende Radverkehr beansprucht neue und sicherere Wege, der umweltfreundliche ÖPNV muss ebenfalls zu seinem Recht kommen. Zudem fehlt es der Politik vielerorts an Mut und Willen, die Verkehrswende im öffentlichen Raum konsequent voranzutreiben. Das bedeutet: Flächen, die bislang dem Autoverkehr als Fahrbahnen und Parkplätze zur Verfügung stehen, im Sinne von Klimaschutz und Mobilitätswende dem ÖPNV, Radfahrenden sowie Gehenden zur Verfügung zu stellen. Während des VDV-Beschleunigungsseminars wurde deutlich: Mischverkehre, bei denen Busse und Bahnen mit anderen Verkehrsteilnehmenden auf den gleichen Flächen unterwegs sind, liegen bei der Stadtplanung im Trend – nicht ohne Konfliktpotenzial. „Bei der Transformation der Städte und der Mobilität darf der Umweltverbund nicht auseinanderdividiert werden“, betont Dr. Volker Deutsch, beim VDV Fachbereichsleiter für Integrierte Verkehrsplanung. Aber es geht nicht nur um Flächen, sondern auch um Zeit. Busse und Bahnen sollten gegenüber dem Individualverkehr Vorrang haben – intelligente Schaltung von Lichtsignalanlagen zugunsten von Bus und Bahn bleiben hier das A und O.
www.vdv.de/mobilitaetswende-best-practice