Eine moderne, silberne Straßenbahn und ein autonomer Shuttle mit der Aufschrift 2040 fahren auf einer von Bäumen gesäumten Stadtstraße der Zukunft, neben einem Radfahrer auf einem grünen Radweg.
Politik
9 Min
21. August 2025

Wie die Wende Wirklichkeit wird
Bus und Bahn für die Zukunft fit machen

Die Nahverkehrsbranche schlägt Alarm. Wenn der im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigte ÖPNV-Modernisierungspakt nicht alsbald in die Tat umgesetzt werde, verschwinde die Mobilitätswende in ungewisser Zukunft. Dies ist die Erkenntnis aus einem vom VDV in Auftrag gegebenen Gutachten. Das Papier rechnet nüchtern vor: Für Busse und Bahnen und ihre Infrastruktur sind jährlich steigende Milliardenbeträge aus den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen erforderlich, um dem Angebot des öffentlichen Nahverkehrs zu neuer zusätzlicher Attraktivität zu verhelfen.

In den Verkehrsunternehmen ist es längst bitterer Alltag. Steigende Kosten, sanierungsbedürftige Infrastrukturen, Fach- und Arbeitskräftemangel bundesweit und immer wieder Qualitätsmängel selbst bei neu beschafften Fahrzeugen setzen die Branche zunehmend unter Druck. „Das Bus- und Bahnangebot verliert an Zuverlässigkeit und Qualität“, stellt Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV beim Branchenverband, nüchtern fest. VDV-Präsident Ingo Wortmann wird deutlicher: „Von der Mobilitätswende sind wir weiter denn je entfernt. Zurzeit geht es erst einmal darum, den bedrohlichen Abwärtstrend unseres Geschäftes zu stoppen.“ Ingo Wortmann, im Hauptberuf Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), verweist auf die seit Jahren vorangetriebenen Bestrebungen, durch ein verstärktes Umsteigen in Busse und Bahnen die Emissionen des Straßenverkehrs dauerhaft zu senken. Das sei in der aktuell schwierigen Weltenlage in den Hintergrund getreten, „doch der Klimawandel stoppt nicht, weil wir gerade nicht darüber reden“.

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Eine Arbeitsgemeinschaft aus Verkehrsexperten der renommierten Beraterfirmen PwC, Intraplan und Ramboll/Civity hat zunächst den Status Quo ermittelt und dann analysiert, was für die Modernisierung und den Ausbau des ÖPNV notwendig ist. „Das Deutschlandangebot: der Transformationsfahrplan für modernen, effizienten und leistungsstarken ÖPNV für alle“: Das ist der Titel der Untersuchung, die der VDV vorgelegt hat. „Dieses Leistungskostengutachten soll ausdrücklich einzahlen auf die Entstehung des Paktes für die Modernisierung des ÖPNV, den die neue Bundesregierung mit Ländern, Kommunen und Branche schließen will“, erklärt Alexander Möller. Dabei gehe es nicht um Hochglanz, sondern um Substanz – „und um die Frage, was ist eigentlich möglich, wenn sich alle anstrengen“.

In der Standortanalyse verdeutlicht das Gutachten die schon fast prekäre Lage der Verkehrsunternehmen. Im vergangenen Jahr habe die Branche 38,8 Milliarden Euro an Gesamtaufwendungen verbucht. Dem standen Fahrgeldeinnahmen von lediglich 12,3 Milliarden Euro gegenüber. Alexander Möller: „Die übrigen rund 26 Milliarden, also in etwa zwei Drittel, sind Geld der öffentlichen Hand.“ 

Vom Bund kamen etwa 30 Prozent, von den Kommunen rund 50 Prozent und zu einem geringeren Maße von den Ländern etwa 23 Prozent. „Im Klartext: Wir sind inzwischen zu zwei Dritteln abhängig von politischen Entscheidungen und Prioritäten. Und damit weit weg von Kostendeckungsgraden von 60, 70 Prozent, die wir vor einigen Jahren erwirtschaften konnten.“ Die negative Entwicklung müsse gestoppt werden; der Fahrgast und sein Ticketkauf müssten wieder wichtiger werden als politische Entscheidungen über einen Zuschuss oder eben eine Entscheidung über keinen Zuschuss.

Mit einem „Zielbild“ für den deutschen ÖPNV wollen die Unternehmen im VDV bis 2040 den Nahverkehr grundlegend mit neuer Qualität ausstatten – durch massive Eigenbeiträge der Branche, unterstützt durch eine entschlossene Politik für diese Transformation. In eineinhalb Jahrzehnten soll weithin flächendeckend ein funktionierender ÖPNV aufgebaut werden, digital vernetzt, automatisiert, standardisiert. Er ist qualitativ und quantitativ hochwertig, klimaneutral durch emissionsfreie Fahrzeuge auf Schiene und Straße, zuverlässig, sicher und bezahlbar. So ermöglicht er die soziale Teilhabe und schafft wirtschaftlichen Mehrwert.

Portrait Alexander Möller

"Bund und Länder müssen sich langfristig zu höheren ÖPNV-Mitteln bekennen. Wir brauchen einen gemeinsamen Finanzierung­spakt, der über eine Legislaturperiode hinausgeht."


Alexander Möller

VDV-Geschäftsführer ÖPNV

Das Leistungskostengutachten hat dazu zwei Varianten vorgestellt:

Das Modernisierungsszenario 2040

Das Deutschlandangebot 2040

...konzentriert sich darauf, den Bestand im aktuellen ÖPNV-Angebot zu sichern, also Abbestellungen von Leistungen zu verhindern, und zugleich das System flächendeckend zu modernisieren. Im Mittelpunkt steht die deutliche Qualitätsverbesserung des derzeitigen Angebots an Bussen und Bahnen. Neben der Modernisierung der Infrastruktur zählt hierzu insbesondere die Antriebswende, also der verstärkte Einsatz von Elektrobussen und anderen emissionsfreien Varianten sowie von klimaneutralen Schienenfahrzeugen. Massive Investitionen sind in diesem Szenario für die Digitalisierung und Automatisierung vorgesehen. Die Branche erhofft sich den Abbau des drückenden Sanierungsstaus, Effizienzgewinne und mehr Fahrgäste.

...ist die von den Verkehrsunternehmen favorisierte Variante. Es geht weit über die Vorhaben des Modernisierungsszenarios hinaus. Mit einem flächendeckenden Kapazitätsausbau soll der ÖPNV in alle Regionen erweitert werden. Zur qualitativen Verbesserung der Modernisierung kommt also eine quantitative Komponente. Mehr Linien, dichtere Takte in den Ballungsräumen und vollständig mit Angeboten des ÖPNV erschlossene Regionen sind das Ziel. Vorbild ist der öffentliche Nahverkehr in der Schweiz. Wie das Gutachten berechnet hat, würde bei konsequenter Realisierung des Deutschlandangebotes 2040 der ÖPNV bis zu 21 Milliarden Fahrgäste pro Jahr befördern können, 80 Prozent mehr als derzeit.

Ob die Nachfrage wirklich so hoch wird, hängt davon ab, ob und wie restriktiv die Verkehrspolitik in den nächsten Jahren den motorisierten Individualverkehr zugunsten des Klimaschutzes einschränkt, warnen die Gutachter.

So oder so: Beide Szenarien erfordern erhebliche, andauernde Investitionen aus den staatlichen Kassen. Bei der Modernisierungsvariante haben die Experten einen jährlich steigenden Mehrbedarf an Finanzmitteln, einen „Aufwuchs” der Ausgaben für den ÖPNV von 1,44 Milliarden Euro errechnet – von heute 26 Milliarden Euro auf im Jahr 2040 49 Milliarden Euro. Die Alternative „Deutschlandangebot“ braucht für die flächendeckende Ausdehnung und Optimierung des Angebots von Bussen und Bahnen jährlich 3,36 Milliarden Euro mehr, in 15 Jahren dann 80 Milliarden. „Bund und Länder müssen sich langfristig zu höheren ÖPNV-Mitteln bekennen. Wir brauchen einen gemeinsamen Finanzierungspakt, der über eine Legislaturperiode hinausgeht“, fordert Alexander Möller. Es müsse jetzt festgelegt werden, wie die öffentlichen Zuschüsse jedes Jahr bis 2040 schrittweise wachsen. „Der von der Bundesregierung angekündigte ÖPNV-Modernisierungspakt ist dafür das richtige Instrument. Nur mit solch verbindlichen Zusagen können Kommunen und Verkehrsunternehmen verlässlich planen.“

Die gemeinsame Weiterentwicklung des ÖPNV von Politik und Unternehmen beschränkt sich nicht auf den stetigen Mittelfluss. Beispielsweise wartet die Branche darauf, dass die oft jahrelangen Planungs- und Genehmigungsverfahren spürbar verkürzt werden. Alexander Möller: „Wir brauchen so etwas wie eine Schnellkommission und eine Reform des Planungsrechts.“ Kritisch sehe der VDV die Entscheidung, „Tickets politisch günstig zu halten und dies als Verkehrspolitik misszuverstehen“. Das erhöhe die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern. Eine kluge Tarifpolitik, die regelmäßig angepasst wird, stabilisiere dagegen die Finanzierung und verhindere, dass die öffentliche Quote über 70 Prozent klettert. Alexander Möller resümiert: „Die Finanzierung des ÖPNV basiert auf seinen Fahrgeldeinnahmen, den öffentlichen Mitteln der Ebenen von Politik, Ländern und Kommunen sowie Effizienzgewinnen, also mit einem starken Eigenbeitrag unserer Unternehmen.“

Zwei Deutschlandkarten: Links die heutige, lückenhafte ÖPNV-Abdeckung mit 12 Mrd. Fahrgästen. Rechts die Vision

Weitere Infos unter:

www.vdv.de/oepnv2040

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