Elektrisch. Automatisiert. Intelligent“: Drei Schlagworte umreißen das Projekt, mit dem die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) in die autonome Zukunft steuern. Ein Kleinbus aus der „Crafter“-Modellserie von VW war seit 2022 im Nordosten der Stadt regelmäßig unterwegs. Im Projekt „Absolut“ pendelte das Elektrofahrzeug zwischen dem S-Bahnhof Leipzig-Messe und dem knapp sieben Kilometer entfernten BMW-Werksgelände auf den öffentlichen Straßen. Der Projektname ist eine Abkürzung, und die steht für: „Automatischer Busshuttle selbstorganisierend zwischen Leipzig und dem BMW-Terminal“. „Absolut“ ist ein Beispiel dafür, wie sich die Nahverkehrsbranche und mit ihr die Kommunen immer konkreter auf die Möglichkeiten des autonomen Fahrens vorbereiten.
Während sich anderswo elektrische Minifahrzeuge in beschaulichem Tempo eher als Exoten durch die Straßen bewegten, waren die Leipziger einen Schritt mutiger: Das Testfahrzeug ist zugelassen für hochautomatisiertes Fahren im öffentlichen Straßenverkehr mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Stundenkilometer, es wurde mit den an der Strecke liegenden Ampelanlagen vernetzt. Immer mit an Bord: der „Sicherheitsfahrer“ als letzte Instanz, wenn etwas schief geht.
Als Nächstes ganz ohne Fahrpersonal
Gleichzeitig wurden die Fahrten von einer Leitstelle bei den LVB überwacht – nicht anders als die Busse und Bahnen im weit verzweigten Liniennetz. Das Projekt wurde inzwischen abgeschlossen. „Wir haben den Nachweis erbringen können, dass wir die Technologie für das autonome Fahren sicher beherrschen. Im nächsten Schritt geht es nun darum, solche Fahrten auch ohne Sicherheitsfahrer durchführen zu können und damit ,Level 4‘ – den international definierten Grad des autonomen Fahrens – zu erreichen“, beschreibt Projektleiter Mario Nowack das Ziel.
Aus „Absolut“ wurde dafür „Absolut II“. Nachdem der Fahrzeugeinsatz auf der Straße abschließend erprobt ist und einen zuverlässigen Serienbetrieb verspricht, geht es nun um die betriebliche Einbindung fahrerloser Dienste in das gesamte ÖPNV-Angebot der LVB. Mario Nowack: „Als Nächstes muss nun der Fernzugriff auf das automatisierte Fahrzeug über eine Manöverfreigabe von der Leitstelle aus entwickelt werden.“ Damit werde die Voraussetzung geschaffen, künftig automatisierte Fahrzeuge im ÖPNV ohne Sicherheitsfahrer betreiben zu können. Erste Systemkomponenten sind dafür bereits entwickelt und schon funktionsfähig.
Bis Ende 2026 will das Projekt „Absolut II“ die komplette Technologie für den Fahrzeug-Fernzugriff vorführen können. Ziel ist es, mehrere fahrerlose Fahrzeuge dann durch eine „Technische Aufsicht“ von der Leitstelle aus zentral zu überwachen und bei Bedarf den gesetzlichen Vorgaben entsprechend zu steuern. Mario Nowack: „Dann kommen wir weg vom klassischen Personalschlüssel mit jeweils einer Arbeitskraft pro Bus, denn von der zentralen Überwachungsinstanz aus können auch mehrere Fahrzeuge gleichzeitig betreut werden. Das wird sich äußerst positiv auf die Betriebskosten unseres ÖPNV auswirken.“ Neben der Betriebstechnik müssen dafür auch die Kundenschnittstellen erweitert werden. In Leipzig ist bereits die Buchungsplattform „Flexa“ etabliert – ein System, mit dem die Fahrgäste in den Außenbezirken der Stadt bereits heute on demand ihre Fahrwünsche via Handy anmelden können. Dieses System wird nun im Rahmen von „Absolut II“ ebenfalls fit für das autonome Fahren gemacht. Es ist die zweite Säule für den autonomen Bus: „Dies ermöglicht erstmalig eine großflächige und gleichzeitig wirtschaftliche Erweiterung des ÖPNV in den Stadtrandgebieten sowie die Vernetzung mit dem bestehenden Hochleistungsnetz aus Bus und Bahn”, heißt es in einem Papier der LVB. Auch vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Mangels an Fahrpersonal könnten die Entwicklungen zum fahrerlosen ÖPNV hilfreich sein.
Die Automatisierung der Projektfahrzeuge setzt voraus, dass ihre Umgebung zuverlässig erfasst und ausgewertet wird. Die Fahrzeuge sind dafür mit diversen Sensoren ausgestattet, die eine 360-Grad-Abdeckung mit drei unabhängigen Sensorsystemen ermöglichen.
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"Wir haben den Nachweis erbringen können, dass wir die Technologie für das autonome Fahren sicher beherrschen."
Mario Nowack
Projektleiter bei den Leipziger Verkehrsbetrieben
Autonome Projekte quer durch das Land
In vielen anderen Städten und Regionen in Deutschland und im Ausland gibt es weitere Projekte mit fantasievollen Namen, die sich wie in der sächsischen Metropole meist aus kunstvollen Abkürzungen ergeben. Anders in Bayerns Landeshauptstadt: Der Projektname „Minga“ ist die bayerische Dialektversion für „München“. Hier geht es ebenfalls um automatisierte On-Demand-Angebote für die Randgebiete der Millionenstadt, aber auch um den Einsatz automatisierter Solobusse auf einer städtischen Linie sowie das „Platooning“. Dahinter verbirgt sich die Idee, an einen Bus einen weiteren ausschließlich mit einer elektronischen Verbindung gewissermaßen anzuhängen – natürlich ohne Fahrer.
Im Rhein-Main-Gebiet hat „Kira“ Level 4 erreicht, aber noch mit Sicherheitsfahrer: Der Projektname steht für „KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre“, auch hier zur ÖPNV-Erschließung von Vierteln und Ortsteilen außerhalb der Linien von Bus und Bahn. Gefahren wird nicht mit einem Kleinbus, sondern mit einem Elektro-SUV des chinesischen Herstellers „Nio“. Dagegen will die Region Hannover in der Stadt Burgdorf einen „richtigen“ Linienbus autonom einsetzen. Geplant ist eine Stadtlinie vom und zum Bahnhof, für die drei Fahrzeuge des türkischen Busherstellers Karsan beschafft werden sollen – vergleichsweise große Fahrzeuge mit 50 Sitzen. Für dieses Projekt mit dem Namen „Albus“ liegen alle notwendigen Genehmigungen vor, teilte die Region Hannover kürzlich mit.
Branchenexperten wie Ricco Kämpfer von der Unternehmensberatung P 3 kritisieren allerdings, dass die bisherige Landschaft autonomer Mobilitätsprojekte geprägt sei von „Insellösungen und Einzelvorhaben, denen es an Langzeittragfähigkeit mangelt“. Zudem würden Lernkurven nicht zusammengebracht und Projekte „nicht zu Ende gedacht”. Auf der „mobility move“ in Berlin schlug Ricco Kämpfer stattdessen ein „zentral gesteuertes und ambitioniertes Leuchtturmprojekt“ mit einer Laufzeit von fünf bis acht Jahren vor, in dem dann auch die Bushersteller eingebunden würden. Das ist derzeit noch ein Problem: Die deutsche Autoindustrie und teils auch die Zulieferer halten sich bei der Entwicklung autonomer ÖPNV-Fahrzeuge zurück. Eine Branche, die ihre Produkte weltweit millionenfach an den Kunden bringen will, sieht keine Chance, bei den kleinen Stückzahlen im Nahverkehr Geld zu verdienen. Eine Ausnahme hierzulande ist Bushersteller MAN. Er beteiligt sich am Münchner Projekt „Minga“ mit dem Ziel, Stadtbusse mit Elektroantrieb für den autonomen Betrieb aufzurüsten.
„Die deutsche Fahrzeugindustrie könnte sich mit der Herstellung von ÖPNV-Shuttles im Level 4 zurück an die Spitze der Innovationen auf dem europäischen Markt bringen. Das gibt der kriselnden Branche ein Stück Investitionssicherheit“, ist die Vision von Dr. Till Ackermann, beim VDV Fachbereichsleiter für die Geschäftsentwicklung der Branche. Sein Plädoyer: „Skalierte Projekte in Modellregionen fördern und ein Kooperationsnetzwerk schaffen.“
Technologiewettbewerb fehlt
Verkehrsunternehmen wie die LVB stellen sich die Entwicklung von verschiedenen Busplattformen vor, auf die dann die autonome Technologie aufgesetzt werden kann. Projektchef Mario Nowack hofft darauf, dass „die Bushersteller mit der Produktion von 10.000 bis 20.000 Fahrzeugen zufrieden sein könnten“. Was bei allen Projekten bislang völlig fehlt, ist ein Wettbewerb der Technologiepioniere des autonomen Fahrens, der letztlich die Marktentwicklung vorantreiben könnte. Sämtliche fahrerlosen Systeme, die in Deutschland betrieben werden, sind Produkte des US-amerikanisch/israelischen Herstellers Mobileye.
Weitere Infos unter:
http://absolut-projekt.de
www.vdv.de/positionen