Infrastruktur
9 Min
11. DEZEMBER 2025

Auf der Suche nach der Steuerung

Die Einführung des europäischen Zugsicherungssystems European Train Control System (ETCS) gilt als wesentlicher Baustein, um das Schienennetz in Deutschland und Europa digitaler zu machen. Doch es fehlt an einer zentralen Koordination.

Die vollständige Modernisierung der Leit- und Sicherungstechnik – inklusive der Stellwerke – im deutschen Schienennetz ist für sich allein schon eine riesige technische und finanzielle Herausforderung. Hinzu kommt die Einführung des European Train Control System (ETCS). Die soll den Personen- und Güterverkehr erheblich stärken – vor allem grenzüberschreitend. Doch die Einführung befindet sich hierzulande in einer kritischen Phase. „Es fehlt an einer klaren Steuerung, einheitlichen betrieblichen und technischen Standards und vor allem an einer verlässlichen Finanzierung“, sagt Martin Schmitz, Technikgeschäftsführer beim VDV: „Hier muss der Bund jetzt die Verantwortung übernehmen.“ Nur so ließen sich Planungssicherheit und Systemverantwortung zusammenbringen. Immerhin geht es darum, die Einführung zwischen den Betreibern von Eisenbahninfrastruktur, Fahrzeughaltern und Werkstätten sowie Eisenbahnverkehrsunternehmen zu koordinieren.

ETCS und digitale Stellwerke sollen die Zuverlässigkeit und die Kapazität der Schiene spürbar erhöhen. So könnte mehr Verkehr von der Straße geholt werden, ohne zusätzlich mehr Gleise bauen zu müssen. Gleichzeitig sollen die Betriebs- und Instandhaltungskosten sinken. „ETCS kann jedoch nur erfolgreich eingeführt werden, wenn die Umstellung der Infrastrukturen koordiniert mit der Nachrüstung der On-Board-Units endlich zusammengedacht und gemeinsam umgesetzt wird“, sagt Martin Schmitz: „Nur so entsteht ein investitionsfreundliches Umfeld. Wir setzen nun darauf, dass das Bundesverkehrsministerium eine koordinierende Stelle im ersten Quartal 2026 auf Basis des Konzeptes umsetzt, das mit der Branche im Frühjahr 2025 erarbeitet wurde.“ Von der Umstellung betroffen sind neben der Infrastruktur auch etwa 15.000 Triebfahrzeuge, die 1.300 aus dem Schienengüterverkehr ausländischer Unternehmen nicht mitgerechnet. Die Triebfahrzeuge verteilen sich auf mehr als 460 Eisenbahnverkehrsunternehmen und mehr als 500 Halter und Leasinggesellschaften. „Ohne Koordination bleibt jede Investition ein Risiko“, erläutert der VDV-Technikgeschäftsführer.

In Deutschland soll ein „Starterpaket“ die Ausrüstung der Schiene mit ETCS und digitalen Stellwerken auf den Weg bringen und anschließend schrittweise über das Ausrollen in der Fläche fortgesetzt werden. Dieses Paket umfasst den trans- europäischen Korridor zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer, die Schnellfahrstrecke Köln-Rhein/Main sowie den Digitalen Knoten Stuttgart. Bis Ende 2030 soll es umgesetzt sein. Doch Deutschland hinkt seinen Zielen hinterher. Bislang sind weniger als 1.500 Kilometer des Netzes mit ETCS ausgerüstet – ein Bruchteil der Gesamtstrecke von mehr als 33.000 Kilometern.

In seiner „Neuausrichtung der Gesamtstrategie zur Digitalisierung der Schiene“ schätzt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr das Investitionsvolumen bei der bundesweiten Umrüstung auf 54 Milliarden Euro bis 2070. 45 Milliarden entfallen auf die Infrastruktur, neun Milliarden Euro auf Fahrzeuge. Hinzu kämen acht Milliarden Euro für nichtbundeseigene Bahnen. Dagegen summieren sich die Nutzeneffekte bis 2070 auf 102,5 Milliarden Euro.

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Portrait Martin Schmitz

„Es fehlt an einer klaren Steuerung, einheitlichen betrieblichen und technischen Standards und vor allem an einer verlässlichen Finanzierung“


Martin Schmitz

Geschäftsführer Technik des VDV

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