Verband & Branche
9 Min
22. AUGUST 2025

Europas mühsamer Weg zum nachhaltigen Verkehr

Die neue EU-Kommission in Brüssel hat nach ihrer Amtseinführung im Dezember auf breiter Front ihre Arbeit aufgenommen. Mit dem Griechen Apostolos Tzitzikostas ist ein neuer Kommissar für den Bereich Transport und Tourismus angetreten. Weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Innovation und weiterhin mehr Schienenverkehr für den europäischen „Green Deal“ bestimmen die Politik der Gemeinschaft.

Ursula von der Leyen, wortgewandte Präsidentin der EU-Kommission, beschrieb die Zielsetzungen der Europapolitik mit einem schlichten Satz: „Wir werden uns bemühen, Europa schneller und einfacher zu machen.“ Der Erfolg der neuen Kommission werde daran gemessen werden, „ob wir in der Lage sind, die von uns gesetzten Ziele zu erreichen“. Für den Verkehrskommissar hatte von der Leyen gleich einen umfangreichen Arbeitsauftrag: die Transeuropäischen Netze (TEN) fertigstellen, mehr Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Europas Metropolen, mehr Nachtzüge, digitale Tickets über die Bahngrenzen hinweg, Verwaltungsaufwand verringern, Rechtsvorschriften vereinfachen und bürokratische Meldepflichten minimieren, digitale Tools für bessere und schnellere Lösungen nutzen.

„Das Thema Bürokratieabbau ist in der EU mindestens so aktuell wie in Berlin“, beobachtet Marlene Boegner, die im VDV-Europabüro in Brüssel für „Europäische Eisenbahnangelegenheiten“ zuständig ist. Die Fachfrau, die zuvor in der Europapolitik in Berlin tätig war, befasst sich für den VDV in Brüssel mit Fragen des europaweiten Personen- und Güterverkehrs auf Schienen. Gemeinsam mit Büroleiterin Annika Degen bringt sie unter anderem die Vorstellungen der VDV-Mitgliedsunternehmen in die Diskussionen um weniger Bürokratie auf europäischer Ebene ein. „Wir sind dabei, eine Liste mit Vereinfachungsvorschlägen aus Sicht des deutschen öffentlichen Verkehrswesens und Schienengüterverkehrs zu erstellen. Die werden wir dann der Kommission übergeben, um uns mit konstruktiven Vorschlägen einzubringen“, berichtet Annika Degen.

Vorausgegangen ist eine Abfrage bei den Mitgliedsunternehmen, welche EU-Gesetze derzeit unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand mit sich bringen und wie dieser reduziert werden könnte. Aus den VDV-Unternehmen kamen über 100 Ideen für weniger Bürokratie und 18 weitere für neue EU-Gesetzgebung. Annika Degen: „Wahrscheinlich werden wir am Ende rund 40 konkrete Vorschläge machen können. Im Herbst wird die finale Liste vorliegen und der EU-Kommission sowie Abgeordneten zur Verfügung gestellt werden.“

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will „Europa schneller und einfacher machen“, so das erklärte politische Ziel.

Fahrerlaubnis bleibt Thema

Bereits in ihren ersten Monaten konnte die neue Kommission ein Projekt abschließen, das unmittelbare Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmen hat. Im Frühjahr gelang es nach langen Verhandlungen, die Überarbeitung der europäischen Führerscheinrichtlinie abzuschließen. Zunächst muss nun der mit dem Rat gefundene Kompromiss durch das Plenum des EU-Parlaments verabschiedet werden. Erst danach kann der Text im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden und wenig später in Kraft treten. Im Anschluss muss das Gesetz noch in deutsches Recht überführt werden.

Zwar ging es in der politischen Diskussion primär um die Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit und das Mindestalter privater Fahrerinnen und Fahrer, doch lagen auch Änderungsvorschläge auf dem Tisch, die der ÖV-Branche Kopfschmerzen bereitet hätten. „Da wurde ernsthaft darüber beratschlagt, das Mindest- alter für Busfahrerinnen und Busfahrer aus Sicherheitsgründen zu erhöhen“, erklärt Annika Degen: „Das hätte unseren Mitgliedern schon Sorge bereitet, weil es derzeit bekanntlich schwierig ist, Fahrernachwuchs zu gewinnen.“ Doch schließlich einigte sich die europäische Politik darauf, das Mindestalter von Fahrerinnen und Fahrern für Linien- wie Reisebusse bei entsprechender Ausbildung auf 21 Jahre festzulegen. Und den Mitgliedsstaaten der EU bleibt es zugestanden, auch 18-Jährige im Linienverkehr auf Strecken bis zu 50 Kilometern hinterm Lenkrad zuzulassen, wenn diese entsprechend geschult sind.

Das Thema Fahrerlaubnis für Busse wie Bahnen wird das Zweierteam in Brüssel noch weiter beschäftigen. „Wenn die Führerschein-Richtlinie in Kraft tritt, sind wir im Europabüro wahrscheinlich schon mit dem nächsten Gesetz beschäftigt, welches die Fahrerinnen und Fahrer betrifft“, erläutert Annika Degen. So soll die Berufskraftfahrerrichtlinie (EU) 2022/2561 ab Ende 2025 überarbeitet werden. Ebenfalls am Horizont wartet die Überarbeitung der europäischen Triebfahrzeugführer-Richtlinie 2007/59/EG, in der es um die Anforderungen an Fahrpersonal im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr geht.

Infrastruktur: Kapazitäten besser managen

Zu den größeren aktuellen Aktivitäten in der Brüsseler Verkehrspolitik zählt die Verabschiedung einer Verordnung für das Kapazitätsmanagement im Eisenbahnverkehr. „Das klingt zunächst einmal reichlich theoretisch, aber es betrifft unsere Bahnunternehmen bis in die Details“, sagt Marlene Boegner. Ziel der Verordnung sei es, die Nutzung vorhandener Infrastrukturkapazitäten auf den Strecken und in Bahnhöfen sowie Umschlag- anlagen durch entsprechende Regelwerke zu optimieren, um so insgesamt Transportvolumina sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr zu steigern.

Speziell der grenzüberschreitende Verkehr soll von der Verordnung profitieren und die Zusammenarbeit der Bahnen über nationale Grenzen hinweg gefördert werden. Das zu erarbeitende Regelwerk soll dafür verbindliche, klare Planungs- und Zuteilungsverfahren für Fahrwegkapazitäten entwickeln. „Der VDV begrüßt das eigentlich“, betont Marlene Boegner, „denn eine optimierte Verteilung der Kapazitäten kann natürlich die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene steigern.“ Gleichzeitig drohe aber neue Bürokratie, wenn es nicht gelingen sollte, Überregulierungen durch die neue Verordnung zu vermeiden. Die konkreten Ausgestaltungen dieser Vorschrift waren in den bisherigen interinstitutionellen Gesprächen in Brüssel zum Teil heftig umstritten. Nun will aber die derzeitige dänische Ratspräsidentschaft mit einer letzten Verhandlung im Herbst Nägel mit Köpfen machen und das Thema abschließen.

Güter: Verlagerung auf die Straße vermeiden

Mehr Verkehr auf die Schiene, speziell im Güterverkehr, ist ein Dauerthema. Seit 2023 befassen sich Ministerrat und das europäische Parlament mit der EU-Richtlinie, die Höchstmaße und Gewicht für Straßenfahrzeuge festlegt – der Weights and Dimensions Directive (WDD). Heiß diskutiert wird eine Erhöhung der Maximallast für Lkw von 40 auf 44 Tonnen. „Aus VDV-Sicht muss das vom Tisch, denn mit jeder zusätzlichen Tonne Kapazität auf der Straße droht eine weitere Verlagerung der Transporte von der Schiene, statt sie im intermodalen Verkehr zum Rückgrat emissionsarmer Lieferketten zu machen“, erklärt Marlene Boegner. Lediglich dem Kombinierten Verkehr sollten diese 44 Tonnen Maximallast im Vor- und Nachlauf vorbehalten bleiben.

Der VDV setzt sich dafür ein, dass ein weiterer spezieller Vorteil des Güterverkehrs auf der Schiene gegenüber der Straße in den Verhandlungen berücksichtigt wird: die Tatsache, dass Güter auf der Schiene auch wirtschaftlich weitaus weniger Belastungen für Verkehr und Umwelt – die externen Kosten – verursachen als jeder Lkw-Transport auf der Straße.

Portrait Annika Degen

"Wir sind dabei, eine Liste mit Vereinfachungsvorschlägen zu erstellen. Die werden wir dann der Kommission übergeben."


Annika Degen

Leiterin des VDV-Europabüros zur VDV-Initiative „Bürokratieabbau“

Vorstellung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR): EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas erläuterte die Bedeutung für den Bereich Transport und Tourismus.

Drei Fragen an

Marlene Boegner (Foto), seit Anfang 2025 Expertin für Europäische Eisenbahnangelegenheiten im VDV-Europabüro.

Frau Boegner, nach der Europawahl im vergangenen Jahr ist die neue EU-Kommission angetreten. Muss der Verkehrssektor mit einer neuen politischen Ausrichtung rechnen?

» Marlene Boegner: Im Europaparlament haben die rechten Parteien zugelegt, und der VDV hat einige Ansprechpartner aus der politischen Mitte verloren. Damit einher geht eine neue politische Ausrichtung in der EU-Kommission. Es fällt auf, dass weniger als früher vom „Green Deal“ gesprochen wird, obwohl die Kommission hinter den Kulissen den Klimaschutzkurs weiterverfolgt. Der Fokus liegt klar auf Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum und Resilienz. Insofern ist damit zu rechnen, dass die vielfältigen Bemühungen um mehr Wettbewerb im öffentlichen Verkehr und die Schaffung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums neben der Dekarbonisierung zentrale Themen bleiben.

Der von der Kommission vorgelegte Entwurf für ihren Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) hat mit einem vergrößerten Volumen gegenüber der letzten Legislatur bei den Mitgliedstaaten wenig Begeisterung ausgelöst. Steuert die EU auf einen weiteren Konflikt zu?

» Erst einmal abwarten. Sowohl Verkehrskommissar Tzitzikostas als auch der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments haben den Entwurf begrüßt. Für unsere Branche bedeutsam ist, dass gerade in den verkehrsrelevanten Bereichen die Fördermittel deutlich aufgestockt werden sollen. Ganz besonders die Mittel für die militärische Mobilität, wie von den Regierungen der Mitgliedstaaten mit Interesse registriert wurde. Geplant ist, den Finanzrahmen für den Ausbau der Infrastrukturen auf über 17 Milliarden Euro zu verzehnfachen. Davon profitieren auch die Eisenbahnen. Denn sie spielen bei der militärischen Mobilität und beim Transport von sehr schwerem Gerät wie Panzern eine besondere Rolle.

Aus der Außensicht drängt sich der Eindruck auf, in der EU werde viel zu viel an Details herumgedoktert …

» Der Teufel steckt aber meist im Detail! Mehr Verkehr auf die Schiene, vor allem im Güterverkehr, ist auch ein Dauerthema in den Fachgremien, die sich mit dem Kombinierten Verkehr beschäftigen. Seit Ende 2023 läuft die Bearbeitung der entsprechenden Richtlinie. Herauskommen sollen attraktivere, die Wettbewerbsfähigkeit steigernde Bedingungen für den Schienengüterverkehr, um mehr Container, Wechselbehälter und komplette Lkw-Aufbauten von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Auch hier kommt es auf Details an: Es werden unter anderem die Ausnahmen von Wochenend-, Feiertags- und Nachtfahrverboten für Lkw im Kombinierten Verkehr sowie die Einführung einer digitalen Plattform für „Electronic Freight Transport Information“ (eFTI) verabschiedet. Mithilfe der Plattform sollen Güterverkehrsinformationen, die bislang in Papierdokumenten übermittelt wurden, digital zur Verfügung gestellt werden.

Portrait Marlene Boegner
Marlene Boegner

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